Wir – Kübra Tokuç und Derya Reinalda (Maviblau e.V.) – haben mit Melissa Kolukisagil und Kaya Peters vom İÇ İÇE-Team gesprochen. Entstanden ist kein klassisches Interview, sondern ein geteiltes Schreiben über knappe Mittel, politische Spannungen und das Bedürfnis, trotzdem Räume zu schaffen. Zwei Stimmen, ein gemeinsamer Blick – getragen von einer Unruhe, die drängt, von Fragen, die bleiben und dem stillen Trotz, nicht aufhören zu wollen.
Kübra
Das İÇ İÇE Festival feiert 5-Jähriges (und wir alle feiern da irgendwie mit) – aber nicht nur mit der verdienten Euphorie und Leichtigkeit für all die Arbeit der letzten Jahre, sondern eben auch mit einer ordentlichen Portion Erschöpfung und Schwere.
Wir haben uns mit Melissa und Kaya auf einen Drink getroffen und über die Festivalvorbereitungen gesprochen. Über Herausforderungen, Unsicherheiten, politische Spannungen. Aber natürlich konnten wir es uns nicht verkneifen, uns zwischendurch auch einfach riesig drauf zu freuen und zu hypen, dass trotz der extrem knappen Mittel – Allem zum Trotz – so ein gutes (ja, wirklich geiles) Programm auf die Beine gestellt wurde.
Das liegt auch daran, dass Melissa und Kaya sich jedes Jahr zusammen in einen Prozess stürzen, in dem sie ihre Künste, Gedanken, Chaos und Gefühle zusammentragen – auf der Suche nach einem Ausdruck für das, was dieses Jahr in der Luft liegt. Diesmal landen sie beim Mittelmeer. Bei „Yakamoz“, ursprünglich die Spiegelung des Mondes auf dem Wasser. Für den hat es dieses Jahr nicht gereicht – aber dafür für viele Sterne. Ein Bild für Hoffnung – aber auch für Fragilität. Denn: Gestirne spiegeln sich nur auf ruhiger See. In stürmischen Zeiten? Geht das Licht aus, die Romantik ertrinkt.
Und trotzdem, oder gerade deshalb, will das İÇ İÇE-Team am 14. Juni ein bisschen Funkeln zurückbringen. Ein Aufatmen. Ein Miteinander. Auch wenn, wie Melissa sagt, es wirklich nichts schönzureden gibt. Denn zum ersten Mal gibt es keine Förderung. Und die Sorge, die seit Monaten über der Berliner Kulturlandschaft hängt, wurde damit Realität – nicht nur für İÇ İÇE, sondern für viele andere queere, migrantische, selbstorganisierte Projekte. Der Rechtsruck ist spürbar. Die Kürzungen sitzen tief. Die Angst vor politischer Einflussnahme über Förderlogiken ist real.
İÇ İÇE war nie einfach nur ein Festival. Es war immer auch ein kultureller Raum, der für Menschen gedacht ist, die oft nicht gemeint sind. Ein Ort für Austausch, Musik, Repräsentation, Kollektivgefühl. Menschen aus ganz Deutschland reisen jedes Jahr an, tragen sich das Datum dick in den Kalender ein, freuen sich auf diese eine Zusammenkunft, die man im Alltag oft schmerzlich vermisst. Als klar wurde, dass die Förderung dieses Jahr ausbleibt, stand das Team vor der Wahl: Absagen – oder alles versuchen. Es wurde alles versucht. Anträge, Sponsorensuche, Gespräche, Verhandlungen. Am Ende: Crowdfunding. Schweren Herzens. 20.000 Euro sollten es werden – knapp 17.000 sind es geworden. Nicht alles, aber genug, um nicht aufzugeben.
Melissa sagt: „Das System ist so gebaut, dass Community-Arbeiter*innen trotzdem weitermachen. Auch wenn ihnen die Grundlage entzogen wird.“
Zwischen dem eigenen Anspruch, den Communities etwas zurückzugeben, und den realen Belastungsgrenzen entsteht ein ständiges Spannungsfeld – das sich kaum auflösen lässt. Denn während gesellschaftliche Anerkennung oft ausbleibt, ist der moralische Druck von innen enorm: Wer, wenn nicht wir? Und wann, wenn nicht jetzt? Genau darin liegt eine gefährliche Erwartungsschleife, in der Aktivismus und prekäre Kulturarbeit miteinander verschwimmen – meist am Rand der Erschöpfung.
„Es ist ein strukturelles Paradox“, sagt Melissa. „Räume, die für Resilienz und kollektive Heilung gedacht sind, entstehen oft unter Bedingungen, die genau das verhindern. Dass İÇ İÇE trotzdem weiter existiert, ist kein Beweis für Funktionieren – sondern für Widerstand.“
İÇ İÇE passiert also. Nicht für „die“, sondern für uns. Für alle, die es brauchen.
Und während ich das schreibe, wächst auch meine eigene Vorfreude – insbesondere auf Lella Fadda, auf Hamburg represent mit TAĪĪZ (<3) & Breakdnz und alle anderen Künstler*innen, die ich noch kennenlernen darf.
Derya
Ich bin ehrlich: ich hatte erstmal nicht so Bock.
Nicht auf Text. Nicht auf Orga. Nicht auf Maviblau.
Nicht mal auf Reden – obwohl ich das sonst immer viel mache.
Fast zehn Jahre bin ich bei Maviblau dabei – aber in letzter Zeit war’s mehr Rückzug als Bewegung.
Und viele Fragen:
Wie politisch dürfen wir sein?
Wie gestalte ich einen Raum, der offen bleibt, aber dennoch schützt?
Wie viel Schwere können wir tragen, ohne darin zu ertrinken?
Und wo bleibt Platz für Leichtigkeit, Lachen und Freundschaft?
Achso und warum mache ich das hier überhaupt?
Und dann sitzen wir doch wieder zusammen.
Irgendwo zwischen Wasser und Kotti.
Zwischen Müdigkeit, dedikodu* und Lachen.
Eigentlich wie immer – fühlt sich aber an wie zum ersten Mal seit Langem.
Melissa und Kaya erzählen von einem Festival, das trotzdem passiert und dabei Räume schafft: für Begehren, für Brüche, für das, was sonst rausfällt.
Nicht aus Trotz. Sondern aus einer Dringlichkeit, die sich mit Leidenschaft mischt.
Ich bin berührt – vom Mut, vom Eigensinn, von der Kreativität, die dieses Festival erst möglich macht.
Und plötzlich regt sich wieder etwas in mir: Lust aufs Weitermachen, auf Schreiben, auf Musik, Tanzen und natürlich auf İÇ İÇE.
Das Programm von İÇ İÇE bleibt vielfältig, politisch, zärtlich – und vor allem eins: kollektiv gedacht.
Also ja: Was erwartet uns am 14. Juni im Festsaal?
Emrah Gökmen kommt mit seinem ersten Soloalbum – Musik, die nicht redet, sondern spürt. Geboren in Dersim, zuhause in Berlin, bewegt er sich zwischen kollektiver Erinnerung und persönlichem Ausdruck. Verwurzelt in kurdischer und türkischer Volksmusik, verwebt er Tradition mit Gegenwart – ein Klang zwischen Widerstand und Intimität.
Shadore ist Rapper und Produzent aus Neukölln, der alternativen Hip-Hop mit elektronischer Musik verbindet. In seinen Songs teilt er Erfahrungen als jüdischer und indigener Person of Colour in Deutschland – persönlich, fordernd, bewegend. Seine Musik erzählt Geschichten und stellt gesellschaftliche Normen in Frage – ein Sound, der Körper und Geist bewegt.Zwischen Beats und Bitterkeit – eine Stimme, die sich nicht glätten lässt.
Katscha, Kaya spielt um 17 Uhr im Garten: ein Set, das berührt, mitnimmt und verbindet. Ein Angebot – und unsere gemeinsame Empfehlung.
Madanii bringt Trap-R&B, der glitzert und sticht – ein Spiel mit Codes, Klang und Identität. Verwurzelt in persischer Kultur, geprägt von ihrer Kindheit als Tochter politischer Geflüchteter, verwebt sie Rhythmen, Sprachen und politische Absurditäten zu einem Sound zwischen Avant-Pop, R&B und Trap. Ihre Songs erzählen vom Anderssein, von generationenübergreifenden Träumen und queerer Liebe – ein Klang, der unter die Haut geht.
Hazaran ein Ensemble, das mehrstimmig erzählt. Ihr Name bedeutet Tausende – und so klingt ihre Musik auch: nach Erinnerungen, Emotionen und Geschichten, die weitergegeben wurden. Die junge armenische Band aus Berlin bringt diese Lieder zurück in Bewegung – ein Sound, der verbindet und berührt.
Rüya: zarter Dream Pop aus Berlin, gegründet 2024. Verträumte Synthies, tiefe Bässe und ein Baritonsaxophon, das unter die Haut geht: flirrend, süß, durchlässig. Ihre Musik fühlt sich an wie eine Sommernacht, in der alles möglich scheint.
TAĪĪZ: DJ, Kuratorin und Mitgründerin von Anaristan Saaz. Ihre Sets verbinden SWANA-Klänge mit globalen Clubsounds – von Baile Funk bis Afrobeat, von Hip Hop bis House.
Lella Fadda: bringt arabische Poesie, Industrial-Sounds und Hip-Hop zusammen – mal leise, mal laut. Ihre Songs erzählen vom Frausein, von Widersprüchen, Stärke und dem Wunsch nach Freiheit. Eine Stimme, die Räume öffnet – und sich nicht festlegen lässt. Wir alle können es kaum erwarten!
Und dann noch Nora Haddada: für mich besonders, weil ich ihren ersten Roman geliebt und verschlungen habe: klug, lustig, viel zu wahr, fast schon zu nah. Ich bin gespannt, was sie auf die Bühne bringt.
Was all diese Acts verbindet? Vielleicht ein gemeinsamer Ton – zwischen Widerspruch und Wärme, Sehnsucht und Widerstand.
Vielleicht mehr, als wir vorher erzählen können.
Und doch scheint etwas durch: IÇ İÇE wird auf all die Fragen, die geblieben sind, keine fertigen Antworten geben- aber vielleicht einen Vorschlag: durch Räume, die sich öffnen und Gefühle, die getragen werden.
Wie der letzte Track, zu dem man tanzt, obwohl man längst zu müde war.
Ein Flirt zwischen Bruch und Berührung. Und dem Moment, an dem man doch bleibt.
Trotz allem.
Wir sehen uns am 14. Juni im Festsaal Kreuzberg.
Text: Kübra Tokuç, Derya Reinalda
Fotos: Alena Kroker
*dedikodu: türkisch für Tratsch/Lästern