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Ewig im Kreis

Der Migrationstanz in Deutschland auf der Bühne

Am 25. Mai feiert das musikalische Stück “Lö Grand Bal Almanya” seine Premiere im Maxim Gorki Theater. 57 Jahre nach dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen greift es die wichtigsten Fragen der Migrationsthematik wieder auf, erzählt faszinierende Geschichten und bleibt kritisch. Für ihre Erzählungen nutzen die Schauspieler*innen fast schon vergessene Lieder und altes Archivmaterial.

Der Regisseur Nurkan Erpulat, hat das bereits 2010 im Ballhaus Naunystraße inszenierte Stück neu aufgenommen und in Zusammenarbeit mit Tuncay Kulaoğlu wieder auf die Bühne gebracht. Wir haben uns mit Schauspieler Tanju Girişken unterhalten, für den die Auseinandersetzung mit der Thematik des Stückes eine intensive und persönliche Reise war. Er ist selbst erst vor zehn Monaten aus der Türkei nach Deutschland immigriert und steht nun mit “Lö Grand Bal Almanya” das erste Mal in Berlin auf der Bühne.

Tanju, was hat dich dazu bewegt, von Istanbul nach Deutschland ans Theater zu gehen?

Tanju: Nach Berlin bin ich für ein Masterprogramm gekommen. Zuvor habe ich im Konservatorium der Istanbul Universität Schauspiel studiert. Während meines Studiums habe ich bei vielen privaten Theatern hospitiert und geschauspielert. Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich beim Stadttheater in Istanbul gearbeitet. Den Regisseur Nurkan Erpulat habe ich bei einem von ihm geleiteten Workshop in Istanbul kennengelernt. Die Arbeit mit Nurkan hat mich sehr geprägt und war sehr wichtig für meinen Werdegang als Schauspieler. Zuvor war ich schon ein großer Fan des deutschen Theaters und habe viel davon geträumt hierher zu kommen. Nach der Workshoparbeit mit Nurkan habe ich beschlossen, den Schritt wirklich zu wagen und nun bin ich hier in Berlin.

Wie unterscheidet sich die Arbeit am Gorki von deiner Arbeit in der Türkei?

Tanju: Mir gefällt besonders die Transkulturalität am Gorki. Seitdem ich diese kennen lernen durfte, wünsche ich mir etwas ähnliches für die Türkei. Nurkan war ein Regisseur mit dem ich gerne arbeiten wollte. Daher war ich sehr glücklich an so einem Ort, gemeinsam mit Nurkan arbeiten zu dürfen und an einem solchen Stück. Für mich ist Lö Grand Bal Almanya ein sehr wichtiges Sück, nicht nur weil es mein erstes in Deutschland ist, sondern auch wegen seiner Thematik.

Was hast du durch die Arbeit an “Lö Grand Bal Almanya” gelernt? Was hat dich am meisten beeindruckt?

Tanju: Eine Menge! Lö Grand Bal Almanya beschäftigt sich mit deutscher Migrationsgeschichte und Migrationspolitik seit den 60ern. Das Stück kritisiert dabei insbesondere den Rassismus und die erzwungene Assimilation, die mit dieser Migrationspolitik einherging. Die Proben waren für mich wie Geschichtsunterricht. Ich habe viel gelernt und vieles von dem was ich gelernt habe, hat mich sehr überrascht. Die meisten Familien in der Türkei haben irgendwelche entfernten oder nahen Verwandten, die in Deutschland leben. Trotzdem weiß man wenig über die Schwierigkeiten mit denen die nach Deutschland emigrierten Türken zu kämpfen haben. Im Gegenteil: man denkt, dass sie ein perfektes Leben im Überfluss haben. Voller Appetit isst man ihre aus Deutschland mitgebrachte Schokolade, macht sich über ihren Akzent lustig, die Onkel und Tanten nehmen sie unter ihre Fittiche, um sie in türkischen Sitten zu erziehen und wenn sie nach ihrem Urlaub nach Hause fahren, sind sie schnell wieder vergessen. Über die Ängste und Probleme mit denen sie in Deutschland konfrontiert sind, wird nicht nachgedacht. Sowohl die kurze Zeit die ich nun in Berlin lebe, als auch das Theaterstück haben mich etwas ganz anderes gelehrt.

Wie ist deine Erfahrung als Migrant in Deutschland? Findest du dich im Stück wieder?

Tanju: Ja. Dieses Stück wurde schonmal vor acht Jahren im Ballhaus Naunystraße aufgeführt. Jetzt wurde es aktualisiert und wieder aufgenommen. Auf die Frage: “Warum hatte man das Bedürfnis dieses Stück wieder auf die Bühne zu bringen?” ist die Antwort, dass die Schwierigkeiten der Migration ihre Aktualität nicht verlieren. Ich möchte hierzu eine Erfahrung von mir erzählen, auch wenn sie sehr klischeehaft wirkt. Neu in Berlin habe ich jemanden in einer Bar kennengelernt und wir haben uns angeregt unterhalten. Während des Gespräches fragte die Person mich, woher ich komme und als sie erfuhr, dass ich aus der Türkei bin, endete unser Gespräch plötzlich. War mein Akzent und mein brüchiges Deutsch zu Beginn des Gespräches noch sympathisch, wurde es, sobald sie erfuhr, dass ich Türke – oder besser gesagt: jemand aus dem mittleren Osten bin – zu etwas Abstoßendem.

Natürlich ist das nicht eine Deutschland – spezifische Geschichte, sondern ein europaweites Phänomen. Auch in der Türkei herrschen unfassbar viele Vorurteile gegen zum Beispiel Kurden und Araber. Damit möchte ich sagen: diese Thematik besitzt weltweite Aktualität. Und wird diese vermutlich noch lange beibehalten. Um so wichtiger, dass sie immer wieder in unterschiedlicher Form thematisiert wird, damit wir weiter darüber reden und vielleicht doch aus der Vergangenheit lernen.

Vielen Dank für das Gespräch, Tanju.

“Lö Grand Bal Almanya” wird im Rahmen der Festivalreihe Almanya 2018 aufgeführt. Karten für die Aufführungen gibt es online und an der Abendkasse zu erwerben. Das vollständige Programm von Almanya 2018, das verschiedene Theaterstücke und Veranstaltungen rund um deutsch-türkische Beziehungen beinhaltet, kann hier eingesehen werden.

Text: Derya Reinalda
Foto:
Ute Langkafel, Maxim Gorki Theater

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