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Von politischen Songs, Oktopussen und der Öğünç-Klingel

Im Gespräch mit Öğünç Kardelen

Öğünç Kardelen und ich kennen uns von IstanbuLyrik 2017 in Köln, wo er mit seiner ehemaligen Band „Kent Coda“ spielte. Nach 5 Jahren treffen wir uns im Café Weltempfänger in Köln Ehrenfeld wieder. Öğünç wohnt inzwischen in Mainz und hat eine neue Band gegründet: Ahtapot.

Maviblau: Was würdest du über dich selbst sagen: Redest du gerne über die Vergangenheit oder blickst du lieber in die Zukunft?

Öğünç Kardelen: (Zögerlich) Ich bin eigentlich offen für beides.

Warum gibt es Kent Coda nicht mehr?

Das kam vor allem durch den in der Corona Zeit 2020 entstandenen Wunsch nach etwas Neuem. Ich konnte mich in dieser Zeit alleine noch mal neu aufstellen. 

Das klingt, als wäre die Coronazeit für dich gut gewesen?

Ja, war sie tatsächlich. Ich weiß, dass es für viele Kulturschaffende total schwer war. Und ich will diesen Menschen nicht unfair gegenüber sein, wenn ich sage, dass es für mich eine Zeit neuer Möglichkeiten war. Aber ich habe Corona nicht als eine schwere Zeit erlebt, sondern als eine, in der ich viel für mich war und viel Neues entwickeln konnte. In diese Zeit fiel dann auch die Auflösung von Kent Coda. Anfangs stellten wir uns noch gemeinsam die Frage, wie wir uns als Band weiterentwickeln könnten. Der neue Klang gefiel mir aber irgendwie nicht und mir wurde klar, dass ich etwas ganz Neues brauche.

Deine neue Band heißt Ahtapot. In meiner Zeit in Istanbul war ich auf einer Fortbildung eines deutschen Kindergartens, der genauso hieß. Ich habe mich damals schon gewundert, weil ein Ahtapot (dt. Oktopus) für mich ein eher unheimliches Wesen ist, das in den unergründlichen Tiefen des Ozeans lebt. Was ist ein Ahtapot für dich? 

Ich habe einen persönlichen Bezug zu Oktopussen. Ich bin am Meer in Izmir aufgewachsen und an den steinigen Stränden habe ich öfter Oktopusse herumwandern sehen. Eigentlich spannend, dass deine erste Frage war, ob ich gerne von der Vergangenheit rede, denn ich rede tatsächlich sehr gerne darüber. Ich glaube, je älter man wird, desto mehr gewinnen Symbole aus der Kindheit an Bedeutung. Ich habe als Kind mal einen Oktopus gefangen und jemand meinte zu mir, ich solle ihn töten. Einen Oktopus zu töten ist für ein Kind aber ein sehr schwieriger Prozess. Je länger ich es versuchte, desto traumatisierender wurde es für mich. Schlussendlich habe ich ihn dann begraben, anstatt ihn zu essen. Danach habe ich viele Male geträumt, dass ich mit dem Oktopus tauchen gegangen bin. Diese Tiere sind für mich irgendwie außerirdisch – im positiven Sinne –, einsam und sehr selbstbewusst. 

Und wer steckt noch hinter Ahtapot?

Nach meinem Umzug nach Mainz habe ich über einen Freund unseren Schlagzeuger Philipp kennengelernt. Bei meiner Suche nach einem Bassisten bin ich auf die Homepage der Musikhochschule gegangen und habe nachgesehen, wer cool aussieht (lacht). Niklas hat dann zwei Mal mitgeprobt und fand’s cool. Im Moment schreibe ich noch die Musik und Texte, aber wir fangen jetzt schon an, das mehr zusammen zu machen. 

Hattest du Lust auf einen Genrewechsel  von Indie Folk zu Psychedelic Rock oder war das Zufall?

Ich bin mit Psychedelic Rock aufgewachsen. Indie Folk war eher eine Notwendigkeit, auf die wir uns mit Kent Coda geeinigt haben. Kent Coda hat auch erst rockiger gespielt, aber Indie Folk war dann eher das, was zu uns allen gepasst hat. Ich hatte aber eigentlich schon lange wieder Lust auf die E-Gitarre mit ihren vielen Effekten – also mit altem Equipment neue Effekte zu schaffen. Generell mag ich die Verbindung von neu und alt. In der Welt erlebt man ja auch ständig diese Bewegung. Vinyl zum Beispiel ist schon lange wieder beliebt. Vielleicht kommen auch Bandmaschinen zurück. 

Eure Single „Aytutan“ handelt von einem Mann, der aus dem Volk hervorging und sich in ein Monster verwandelte, als er an die Macht kam. Denkst du, die Macht hat ihn verwandelt oder war er schon immer dieses Monster und hat die anderen nur getäuscht?

Schwer zu beantworten. Ich war noch nie in einer vergleichbaren Machtposition und man kann nie wissen, wie eine Situation einen verändert, bevor man sie nicht selbst erlebt hat. Aber in dem Lied hatte Aytutan schon die Anlage zum Monster und das System hat ihn dann schlussendlich dazu gemacht.

Also ist das System schuld?

Na ja, das System hat er auch mitgeschaffen. Ich denke, es ist einfacher böse als gut zu sein.

Ist „Aytutan“ ein politisches Lied?

Auf jeden Fall, ja.

Bezieht es sich auf jemand konkretes?

(Schmunzelnd) Das Lied erzählt eine Geschichte. Jeder, der darin eine konkrete Person sieht, darf das.

Gibt es ein Lied, das du immer schon mal schreiben wolltest, aber noch nicht getan hast?

(Überlegt) Gab es einmal. Aber inzwischen habe ich das Lied geschrieben. Der letzte Song von Kent Coda “Izmir Köln 2002”. Der Song erzählt davon, wie ich nach einer Chorprobe im Domchor noch oben bei der Orgel rumgeschlichen bin und dann eingesperrt wurde. Schließlich kam dann die Polizei zum Kölner Dom und ein Priester musste mich befreien. Seitdem gibt es im Kölner Dom eine Klingel, die nach mir benannt ist, die Öğünç-Klingel. 

Was macht Ahtapot im Sommer?

Am 26. Juni spielen wir im Schokoladenmuseum in Köln, am 1. Juli im Kulturbunker in Köln und am 18. August in Burg Waldeck. 

Und du?

Ich war vor kurzem noch mit meiner Frau und meinem Sohn in Frankreich. Wenn es klappt, dann würde ich noch gerne nach Izmir. 

Interview und Fotos: Carina Plinke