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Mit blauem Pulli und Falafel Fladenbrot

Ein Interview mit der Illustratorin Selina Ursprung

Döner- und Falafelläden sind aus unserem Leben nicht mehr weg zu denken. Sie gehören zu dem Straßenbild unserer Städte dazu, prägen unsere Esskultur und sind Teil unseres Alltags geworden. Doch so wenig wir uns an diesen Orten länger als zum Essen aufhalten wollen, so wenig setzen wir uns mit ihnen wirklich auseinander. Die Geschichten, die sie erzählen können, bleiben häufig im Verborgenen und die kleinen Läden verweilen im Unsichtbaren. Die Schweizer Illustratorin Selina Ursprung hat mit ihren Zeichnungen versucht, das Unsichtbare wieder in die Sichtbarkeit zu rücken.

Mit ihren Arbeiten ermöglicht sie es uns, einen Blick auf die Banalität unseres Alltags zu werfen und einen kurzen Moment wieder die Besonderheit im scheinbar Gewöhnlichen zu entdecken. Kürzlich ist ihr Buch Mit blauem Pulli und Falafel Fladenbrot bei edition moderne erschienen, womit sie nun durch Deutschland und die Schweiz reist. Letzten Monat hatte sie eine Buchvorstellung in Akroum Snack, einem winzigen Laden auf der Sonennallee in Berlin-Neukölln, der auch selbst im Buch festgehalten ist. Vor der Vernissage treffen wir uns auf einen Kaffee, um noch mehr über die Geschichten und Begegnungen in Döner- und Fallafelläden zu sprechen.

Wie kamst du auf die Idee, ausgerechnet Döner- und Falafelläden zu illustrieren?

Das war keine plötzliche Idee, sondern entwickelte sich schleichend. Ich sitze gerne draußen und zeichne und notiere alles was mir dazu einfällt. Und so kam es, dass ich mich plötzlich in Dönerimbissen wieder gefunden habe. Dort saß ich dann und zeichnete und je mehr Zeit ich in den Imbissen verbrachte, desto mehr sah ich, was man alles entdecken konnte. Mir wurde die Vielschichtigkeit der Imbisse bewusst und die vielen Themen, die sich in diesen kleinen Räumen zusammenfinden. Angefangen von der Ästhetik der Einrichtung, den Gerüchen, natürlich den Geschmäckern, bis hin zu den Geschichten, die immer wieder erzählt werden. Beim Zeichnen bin ich so oft in Gespräche mit den Besitzern gekommen und habe bei viel Tee so unfassbar viel gelernt: über Familien, Freundschaften, Migration, das Leben und Liebe.

Hast du dann direkt vor Ort zwischen Pommes und Dönergeruch gezeichnet?

Beim Zeichnen habe ich teilweise mich in die Imbisse reingesetzt und direkt gezeichnet. Oft habe ich aber auch zu Hause aus Gedanken oder von Fotos abgemalt. Oder ich habe Tonaufnahmen in den Imbissen gemacht: Die habe ich mir immer wieder angehört und mich an die Orte zurückversetzten und so die Stimmungen festzuhalten. Beim Zeichnen war es mir wichtig, das Gesehene in eine eigene Sprache zu übersetzen ohne dabei etwas Fertiges und Abgeschlossenes zu präsentieren. Ich möchte, dass wenn man sich die Illustrationen anguckt, noch Raum bleibt für eigenen Vorstellungen und Gedanken.

Wir waren denn die Reaktionen auf dich, wenn du in der Imbissbude gezeichnet hast?

Die waren ganz unterschiedlich. Ehrlich gesagt haben die Besitzer mich oft gar nicht bemerkt, insbesondere wenn es voll war. Und ich wollte das auch nicht unbedingt. Häufig bin ich daher mit Freunden mitgegangen und saß dann in einer großen Gruppe, während ich gezeichnet habe – so konnte ich mich hinter denen verstecken. Aber natürlich wurde ich auch manchmal entdeckt. Und rückblickend sind aus diesen Gesprächen die schönsten Erinnerungen geblieben. Ich habe so viele Geschichten gehört und Menschen kennengelernt. Besonders geprägt hat mich Murat, ihm gehört der Imbissladen „Kübban“ in Biel. Bei ihm saß ich viel, habe gezeichnet und zugehört. Zwischen uns ist eine schöne Freundschaft entstanden.

Gezeichnet hast du in Berlin, Biel und Bern. Hast du Unterschiede in den Städten gespürt?

Unterschiede zwischen Bern und Biel gab es eher wenige. Zu Berlin: absolut. Hier gibt es viel mehr Läden, insbesondere auf der Sonnenallee. Außerdem spürt man den Unterschied zwischen arabischen und türkischen Imbissen stärker. In der Schweiz verwischt da die Grenze noch viel mehr. Und hier in Berlin, gibt es stärkere Konkurrenz. Das hat natürlich auch seine Auswirkungen. Vielleicht sogar auf den Geschmack.

Wie kam es dazu, dass sich daraus ein Buch entwickelt hat?

Zu Beginn habe ich aufgrund der ungewöhnlichen Thematik gar nicht daran gedacht, meine Zeichnungen als Teil meiner Abschlussarbeit zu nehmen. Dann bin ich jedoch auf ein Buch gestoßen: Der Geschmack der Gentrifizierung. Es ist ein Buch der Kulturwissenschaftlerin Miriam Stock. Sie setzt sich in ihrem Buch mit dem Zusammenhängen der Entwicklung von Döner- und Falafelimbissen und dem urbanen Leben auseinander. Ich war sehr überrascht, als ich merkte, dass wir uns mit derselben Thematik, nur halt auf unterschiedlicher Weise auseinandergesetzt haben. Sie kulturwissenschaftlich, ich illustratorisch. Sie hatte den wissenschaftlichen Anspruch an ihre Arbeit, ich den künstlerisch-ästhetischen. Das hat mich sehr fasziniert und mir Mut gemacht, bei meiner Arbeit zu bleiben und daran zu glauben, auch im scheinbar Alltäglichen das Besondere fest zu halten.

Text: Derya Reinalda
Titelbild: Mara Ursprung
Illustrationen: Selina Ursprung


Selina Ursprung ist 1993 in Biel geboren und aufgewachsen. Zum Studium zog sie nach Bern, wo sie an der Hochschule der Künste Visuelle Kommunikation studiert hat. „Mit blauem Pulli und Falafel Fladenbrot“ ist als Teil ihrer Abschlussarbeit entstanden und in ausgewählten Buchhandlungen oder im Internet zu erwerben.

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