Ständig unterwegs sein und davon leben können, wäre das nicht der Traum vieler von uns? Reisebloggende können durch ihre Blogs Geld verdienen und einige schaffen es sogar, sich damit finanziell unabhängig zu machen. So haben sich weltweit bereits viele Menschen den Traum vom ewigen Reisen zur Wirklichkeit gemacht. Auch in der Türkei hat sich diese Bloggerszene längst etabliert. Wir haben mit vier erfolgreichen und in ihren Konzepten sehr unterschiedlichen türkischen Dauerreisenden über ihre Blogs gesprochen, und uns dabei gefragt, wie sich das auf die Gesellschaft auswirken kann.
Canan („Reisen, Sehen, Erleben“) und Tuğçe („Die unbekannte Route“) werden in der Türkei durch ihre Blogs von einer breiten Masse auf Schritt und Tritt verfolgt. Die beiden Frauen haben es geschafft, mit einer Portion Mut und Kreativität aus den Gesellschaftsnormen auszubrechen. Uns erzählten sie, warum sie heute nicht mehr allzu lang an einem Ort verweilen können.
Warum und worüber bloggt ihr, und wer sind eure Leser?
Tuğçe: Ich habe schon früh festgestellt, dass ich nicht in die Gesellschaftsnormen passe, die einem den Weg „Ausbildung, Karriere, Eheschließung, Kinder“ vordiktieren. Ich möchte mit meinem Blog nicht nur über die Orte, die ich besuche, berichten, sondern vor allem Frauen zum Reisen anregen und ihnen zeigen, dass es nicht schwierig ist, als Frau alleine zu reisen.
Canan: Gezgorkesfet.com legt einen Fokus auf das Reisen mit Kindern. Viele türkische Familien glauben, dass es kompliziert und anstrengend ist, mit Kindern zu verreisen, und bleiben dann lieber zu Hause. Ich möchte ihnen zeigen, dass es mit der ganzen Familie viel zu entdecken gibt.
Reisen TürkInnen zu wenig?
Canan: Natürlich können wir nicht so häufig reisen. Der soziale Druck in manchen Stadtvierteln, die Einschränkungen, die der türkische Pass mit sich bringt, die geographische Lage, in der sich das Land befindet… all das sind Faktoren, die das Reisedefizit beeinflussen. Aber anstatt darüber zu jammern, sollte man die Möglichkeiten nutzen, die sich einem bieten. Da können Reiseblogs gute Tipps liefern.
Tuğçe: Wenn eine Bevölkerung Vorurteile loswerden will, muss sie selbst reisen, anstatt nur auf TouristInnen zu warten. Vor allem die unbekannteren Länder sind von TürkInnen so gut wie nicht erschlossen. Obwohl ich zum Beispiel sechs Monate lang in Asien war, bin ich mit Menschen aus aller Welt, aber mit niemandem aus der Türkei zusammengestoßen.
Canan, warum möchtest du mit gezgorkesfet.com vor allem zeigen, dass das Reisen mit Kindern einfach sein kann?
Canan: Reisen bildet und der Verstand von Kindern ist wie ein Schwamm. Das, was sie mit der Zeit gelernt haben, beeinflusst ihren Charakter, und das wiederum wirkt sich auf die Menschen in ihrem Umfeld aus. Wir können dafür sorgen, dass sie es als zukünftige „WeltbürgerInnen“ einfacher haben, mit anderen Kulturen zu kommunizieren. Meine Kinder sind zwei und sechs Jahre alt und sie wachsen auf diese Weise auf: mit anderen Kulturen zusammen.
Tuğçe, du schreibst nicht nur über Reiseziele im Ausland, sondern empfiehlst auch Orte innerhalb der Türkei. Warum?
Tuğçe: Wenn man in der Türkei über Tourismus redet, fallen einem als allererstes „Sonne, Strand und Meer“ ein. Abgesehen davon besitzen wir ein unheimlich wertvolles kulturelles und geschichtliches Erbe sowie zahlreiche Natursehenswürdigkeiten. Zum Beispiel wissen die wenigsten, dass sich der zweitgrößte Canyon der Welt in der türkischen Provinz Uşak befindet, der Ulubey Kanyon. Indem ich innerhalb der Türkei reise und darüber schreibe, möchte ich zeigen, was es im Umkreis von drei Stunden vor der Haustür zu sehen gibt, und dass man zum Reisen nicht unbedingt ins Ausland gehen muss.
Während sich Canan und Tuğçe mit ihren Blogs unabhängig gemacht haben, finanzieren sich Alper mit seinem Blog „Kultivierter Alper“ und Cüneyt mit „Die Fährte des Reisenden“ im kleinen Rahmen über ihre Blogs oder durch Angespartes. Alper geht lieber auf Nummer sicher: Er hat Arbeitsstelle und festen Wohnsitz in Istanbul und nimmt sich die Zeit zum Reisen im Urlaub. Cüneyt dagegen hat sich vor fünf Monaten von seinem „alten“ Leben verabschiedet und seinen Job gekündigt, um sich ganz dem Reisen zu widmen. Auch sie werden mittlerweile von einer breiten Leserschaft eifrig verfolgt und erzählen uns, wie sie zum Bloggen gekommen sind.
Seit wann seid ihr unterwegs und warum bloggt ihr?
Cüneyt: Vor 17 Monaten habe ich den ersten Schritt zum Reisen und Kennenlernen anderer Kulturen gewagt und mir damit einen Kindheitstraum erfüllt. Nach meiner ersten Reise wollten Freunde und Verwandte wissen, wie es mir ergangen ist, also habe ich einen Blog geöffnet, der bis heute fleißig verfolgt wird. Heute schreibe ich, um andere Leute zum Reisen anzuregen.
Alper: Ich reise seit 18 Jahren und schaue mir vor allem den Türken eher unbekannte Länder an, wie die Mongolei, Kuba oder Swasiland. Was für Abenteuer kann ich schon auf dem Eiffelturm in Paris erleben? Ich möchte den Leuten Mut machen, die nicht reisen können oder wollen, weil sie der Meinung sind, dass es zu teuer ist – und dabei immer nur an Europa denken. Vor allem sorgen sich besonders viele um das Essen im Ausland! Wer die türkische Küche gewöhnt ist, stellt generell hohe Ansprüche ans Essen. Deshalb schreibe ich auch über die lokale Küche der Länder, die ich bereise, um anderen die Angst ein wenig zu nehmen.
Welche Vorteile beschert euch euer eigener kultureller Hintergrund im Ausland?
Cüneyt: Ich komme aus Trakya und dort habe ich gelernt, dass man niemals mit leeren Händen an fremden Türen klopfen darf. Menschen, bei denen ich bleibe, bringe ich Kleinigkeiten aus meinem Land mit, zum Beispiel türkischen Kaffee oder Honig, blaue Glasaugen oder eine Gebetskette.
Alper: Ich bin, wie unserer Kultur ja oft nachgesagt wird, sehr offen und warmherzig. Außerdem können wir Türken in Haushaltsdingen ganz schön pflichtbewusst sein. Es kommt schon mal vor, dass ich in wildfremden Häusern koche oder Bäder und Klos schrubbe.
Was ist eurer Meinung nach der Unterschied zwischen dem türkischen „Reisenden“ und „MigrantInnen“?
Alper: Als MigrantIn musst du dich ändern, dich anpassen; schließlich bist du gekommen, um dein Leben hier zu verbringen. Ich denke der Hauptunterschied ist, dass MigrantInnen ihr Land vermissen, weil sie es dauerhaft verlassen. Daher fällt es ihnen in vielen Bereichen vielleicht schwer, aus den Mustern ihrer eigenen Kultur auszutreten. Trotzdem müssen sie versuchen, sich anzupassen und mit ihrer Lebensweise die lokale Bevölkerung nicht einzuschränken. Reisende wissen, dass sie zurückkehren werden. Das spiegelt sich in ihrer Neugier wieder: Sie möchten alles Fremde in sich aufsaugen.
Text: Yasemin Bodur
Redaktion: Tuğba Yalçınkaya