Heimat oder Fremde? Ankommen oder lieber wieder weg? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Dokumentarfilm von Matthias Ditscherlein und Anne Denkinger, Hadi Tschüss. Im Mittelpunkt stehen fünf Rückkehrer, also Menschen mit türkischen Wurzeln, die nach einem Leben in Deutschland nun in der Türkei einen neuen Anfang gewagt haben. Er dreht sich um ihre Erfahrungen, ihren Lebensalltag, ihre Probleme und vor allem um die Frage, ob die Entscheidung, Deutschland den Rücken zu kehren, die richtige war.
Ruhan, einer der 5 Protagonisten, ist ein waschechter Bayer – zumindest wenn man die Augen schließt und ihm einfach nur zuhört. Der Türke, der Ingolstadt nach 27 Jahren den Rücken gekehrt, und nun in Izmir die deutsche Bäckerei Backland eröffnet hat, wirkt eher bayerisch als türkisch: Er spielt leidenschaftlich Akkordeon und wird nicht müde, seinen Kunden den Unterschied zwischen einem Bienenstich und einem Käsesandwich zu erklären.
Doch auch die anderen Protagonisten: Münevver, Emine, Derya und Necip erzählen mit einem gewissen Maß an Selbstironie über ihre Rückkehr in die Türkei: skurril, lustig, manchmal auch traurig, doch auf jeden Fall unterhaltsam. Und so blickt der Zuschauer auf Menschen, die Einblicke in ihre spannende Lebensgeschichte geben: Es sind keine Erfolgsgeschichten und zum Glück keine Geschichten über eine gescheiterte Integration, sondern einfach nur das, was es ist: das ganz normale Leben.
Gezeigt wurde der Film, der im Jahr 2014 in und rund um Izmir entstanden ist, jetzt erstmals in der Türkei bei Veranstaltungen in Izmir, Bodrum und Istanbul. Die Gelegenheit, die beiden Filmemacher aus Leipzig kennenzulernen, und mit ihnen über ihren Film zu sprechen.
So ganz allgemein, wie seid ihr auf das Thema gekommen?
Anne: Ich bin zum ersten Mal im Jahr 2007 im Rahmen eines Freiwilligendienstes nach Istanbul gekommen. Das Land hat mich nicht losgelassen und seitdem bin ich immer wieder hierher zurückgekehrt. Matthias und ich waren dann im Jahr 2013 zusammen in Izmir. Ich studierte dort und Matthias hat seinen Freiwilligendienst gemacht, wir hatten also Zeit uns ein Projekt zu überlegen. In dieser Zeit haben uns viele Menschen angesprochen und uns ihre Geschichten erzählt und so kam Eins zum Anderen. Eigentlich wollten wir nur eine 20-minütige Doku machen, aber nachdem wir eine oder zwei Wochen mit jedem Protagonisten verbracht hatten, bemerkten wir, dass die Zeit nicht ausreicht, und haben unseren Aufenthalt verlängert.
In dem Film interviewt ihr Charaktere mit einer relativ unterschiedlichen Biografie, wie habt ihr sie kennengelernt?
Anne: Das war oft reiner Zufall. Ruhan haben wir kennengelernt, als wir durch die Straßen geschlendert sind und dabei das Backland entdeckt haben. Emine hat beispielsweise in unserer Nachbarschaft gewohnt. Unsere Nachbarn hatten über sie geredet und erzählt, dass sie immer deutschen Kaffee mache.
Die meisten eurer Protagonisten, bis auf Derya, die wieder nach Deutschland zurückgegangen ist, sind im Rentenalter. Kennt Ihr andere Beispiele von jungen Menschen, die in die Türkei zurückgekehrt und dort geblieben sind?
Matthias: Wir haben viele Menschen getroffen, denen es leicht fällt, in der Türkei zu leben, die hier ein sehr gutes Leben führen und sich sehr wohl fühlen. Wir mussten aber für den Film eine Auswahl treffen und aus diesem Grund gibt er kein komplettes Bild der Rückkehrer aus Deutschland wieder. Das sind fünf Beispiele, die Positives und Negatives erlebt haben.
Was habt Ihr durch den Film gelernt?
Matthias: Ich komme eigentlich aus Ostdeutschland. Dort ist der Ausländeranteil und der Anteil türkischstämmiger Menschen relativ gering und da ich noch nie längere Zeit in der Türkei gelebt habe, hatte ich wenig Berührung mit dem Thema. Als ich anfing, mich mit dem Thema zu beschäftigen, erkannte ich, dass immer nur von Hochqualifizierten gesprochen wird: Es geht weniger um Menschen als um Arbeitskräfte, die der deutschen Wirtschaft fehlen. Doch wir haben gemerkt, dass es hier um Menschen mit einer ganz besonderen Biografie geht. Man sollte den Menschen eine einfachere Möglichkeit einräumen, diese Biografie zu leben. Stichwort: zwei Pässe.
Wollt ihr also mit dem Film auf ein Problem hinweisen?
Anne: Wir haben natürlich zu diesem Thema recherchiert und in diesem Zusammenhang geht es immer um den wirtschaftlichen Verlust, der durch die Abwanderung entsteht. Aus diesem Grund wollten wir das Thema nicht wirtschaftlich diskutieren, sondern die individuelle Perspektive zeigen. Wir wollten den Zuschauern die Chance geben, diese Menschen mit ihren zwei „Heimaten“ kennenzulernen und für einen Moment ihre Perspektive einzunehmen.
Haben die Dreharbeiten euere Sicht auf die Türkei verändert?
Anne: Es war sehr interessant zu sehen, wie sich die Charaktere im Laufe der Dreharbeiten positioniert haben. Am Anfang haben wir bei manchen gedacht, dass sie sehr ausgeglichen, ruhig und glücklich sind und dann haben wir gemerkt, dass es doch nicht so ist. Es war sehr spannend, die Menschen über einen längeren Zeitraum zu beobachten und kennenzulernen.
Matthias: Die Dreharbeiten haben sowohl den Blick auf die Türkei als auch den Blick auf Deutschland geschärft. Die Protagonisten haben die Dinge reflektiert, die ihnen in Deutschland und in der Türkei gut gefallen haben und was ihnen auf die Nerven ging. Zum Schluss stand eben die Idee, sich das Beste aus jedem Land rauszupicken. Diese Identität kann einem manchmal mehr geben, als eine typisch deutsche oder türkische Identität.
Jetzt versuchen die beiden, den Film auf Festivals zu zeigen. Im Herbst ist jedoch eine Vorstellungsreihe in Deutschland geplant und eine zweite Türkei-Tour soll es eventuell auch noch geben. Auf der Webseite von Hadi Tschüss posten die beiden regelmäßig Neuigkeiten zum Film. Wer die Dokumentation also selbst sehen möchte, für den lohnt sich ein Blick auf die Internetseite.
Text: Carolin Winterholler
Bilder: Hadi Tschüss