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Andere Laute

Eine Fusion der deutschen und türkischen Sprache

Da läuft eine Frau, ganz unauffällig in dieser Gegend der Stadt. Sie trägt den Frühling auf dem seidenen Tuch, der ihren Kopf verhüllt.

Sie verließ ihre Wohnung, direkt nachdem sie die Kinder zur Schule geschickt hatte, im Schulranzen Fladenbrot mit Nutella und ein Orangensaft-Päckchen. Es ist ein kalter Februarmorgen in Berlin-Kreuzberg und die Leute auf den Straßen gleichen eher Geistern als Menschen. Es ist die Zeit, in der die Sonne die Stadt vergisst und die Menschen sich vergessen fühlen. Die Frau mit dem Frühling auf dem Kopf hastet zur U-Bahn-Station Prinzenstraße, wartet zwei Minuten bis die Bahn langsam einfährt und steigt in die U1 Richtung Warschauer Straße. Der gelbe Zug rast zum Kopsator. In der nächsten Station muss sie aussteigen, am Gülizerbanhof. Sie wartet auf die Ansage der U-Bahn-Dame, um an die Tür zu laufen, einige Sekunden später ertönt die erwartete Stimme: „(dıdın) Görlitzer Bahnhof, Übergang zum Metrobus, Ausstieg Rechts (dıdın)“. Einmal die Woche veranstaltet sie ein Treffen mit den Frauen aus der Gegend, um etwas „Staub abzuwerfen“, wie sie es auf Türkisch nennt – „toz atmak“.

Sie sind „Berliner“ der anderen Art. Sie sprechen eine andere Sprache. Es ist kein Türkisch, aber auch kein Deutsch. Es ist eine Fusion beider Sprachen. Sie vertürken das Deutsche und verdeutschen das Türkische. Heraus kommt ein herrlicher Singsang. Die Grenzen der Sprachen werden aufgebrochen, und man weiß am Ende gar nicht mehr, was welcher Sprache angehört, wie ein Wort korrekt ausgesprochen wird, ob dieser „Park“ wirklich Keçili Park, also Ziegenpark heißt, oder ob es von jemanden erfunden worden ist, der sich den originalen Namen nicht merken konnte. Ganz schnell werden Plätze und Parks, die nach historischen Persönlichkeiten oder Ereignissen benannt wurden, umbenannt. Mit den neuen Namen wird eine neue – die eigene – Geschichte geschrieben.

Tapete lässt sich viel einfacher sagen als duvar kağıdı 

Im Laufe der Jahre nach dem Arbeiterabkommen von 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkischen Republik lässt sich eine Reihe von interlingualen Abfärbungen und Einflüssen beobachten. So wuchsen viele türkische Kinder mit dem Glauben auf, dass zum Beispiel das Wort Tapeten türkisch sei und eben Tapete bedeute, dabei existiert solch ein Begriff im türkischen Lexikon nicht und ist ein gutes Beispiel für ein „vertürktes“ deutsches Wort – nebenbei bemerkt es heißt duvar kağıdı auf Türkisch.

Als weiteres Beispiel könnte ich wohl meine Erfahrung mit dem Bakkal Amca, dem Verkäufer im Kiosk in Istanbul nennen. Als ich als kleines Kind den armen Mann anschrie und anmeckerte, warum er mich nicht verstehe, ich würde ja nur eine Tüte verlangen. Ich war mir absolut sicher, dass es auch im Türkischen Tüte heißt; aber es heißt poşet, erfuhr ich später. Ähnliches erlebte ich mit den Begriffen Regal oder Termin. Ich erntete viele konfuse Blicke und viel Gelächter. Aber so hatten wir es gelernt und ich weiß nicht, ob es mir möglich gewesen wäre, in Erfahrung zu bringen, dass diese Worte Deutsch waren, wäre ich nicht nach Istanbul gezogen.

Selbst nachdem ich es lernte, hörte ich nicht auf, sie zu nutzen. In meinem Vokabular, so wie bei vielen anderen, waren diese Worte da, sie waren und sind Teil beider Sprachen – zumindest für uns. Also setzte ich mich durch bei der Verwendung dieser „translingualen“ Begriffe, wenn ich sie so nennen darf. Ich lehrte sie anderen und sie fingen ebenfalls an, diese zu verwenden. Mal ehrlich: Tapeten lässt sich viel einfacher sagen als duvar kağıdı. In der Sprache erkennt man wohl die ersten Anzeichen von Veränderung. Den hybriden Charakter dieser Leute hört man aus ihren Lauten. Diese Sprache zieht keine Grenzen, setzt keine Regeln, stellt keine Kategorien auf. Sie durchbricht, sie löst auf, sie provoziert, sie benennt neu, denn das Alte hat manchmal einfach nicht die passende Größe. Man wächst raus.

Text: Neslihan Yakut
Bild: Maximiliane Wittek

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Rough und gleichzeitig verletzlich