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Sommerkino: Eine brise Türkei an Münchner Abenden

Die Türkischen Filmtage München sind aus dem Kulturkalender der bayerischen Landeshauptstadt nicht mehr wegzudenken. Schon 33-mal hieß es im März und April „Film ab!“ für Produktionen aus und über die Türkei. Doch in diesem Jahr ist türkische Kinokultur in München auch abseits der frühjährlichen Filmtage erlebbar: An zwei Abenden im Juli und August laden spannende Themen zu Sommerkino auf Türkisch ein.

Bei Sommer dachte man einst an Sonne, Urlaub und Unbeschwertheit. Die gegenwärtigen Krisen – Klima, Energie und Ukraine – haben die Leichtigkeit vergangener Sommer jedoch verdrängt. Während früher die Frage nach UV-Strahlenschutz das Sommerloch füllte, beherrschen heute Waldbrände, Lieferengpässe und Krieg die Nachrichten.

Die große Krise der vergangenen beiden Jahre hat ihre Spuren besonders deutlich in der Kinobranche hinterlassen. Durch Corona war der Kinomarkt um knapp zwei Drittel eingebrochen. Monatelange Schließungen sowie Infektionsgefahr hatten Publikum und Kinosaal entfremdet. Doch nach zwei anstrengenden Jahren möchte die Kinokultur mit Schwung und neuen Ideen zurück ins Leben. Open-Air und Sommerkinos boomen dieses Jahr besonders.

Türkische Filme erleben in München eigentlich alljährlich im Frühjahr ihre Hochphase. Denn durch die Türkischen Filmtage wird München gewöhnlich im März und April mit einem großen und wohldurchdachten Angebot an türkischen Filmen versorgt. Doch auch diesen Sommer wird das Team der Türkischen Filmtage München nutzen, um Filme aus und über die Türkei zu präsentieren. Mit dem POPUP Sommerkino und den 70. Filmkunstwochen München gibt es dafür gleich zwei gute Anlässe.

Türkische Filmkultur greifbar machen

Am 26. Juli steht der Abend beim POPUP Sommerkino unter der Überschrift Queer Panorama. Fünf Kurzfilme – mal fiktional, mal dokumentarisch – setzen sich mit Queerness in der Türkei auseinander. Aufeinanderprallende Realitäten, überholte Männlichkeitsbilder und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse: Die künstlerischen Zugänge sind so facettenreich wie das Thema selbst. Am 12. August wird im Zuge der 70. Filmkunstwochen München der Dokumentarfilmessay Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod gezeigt. Der auf der Berlinale vom Publikum prämierte Film eröffnet spannende Einblicke in die Musik der türkischen Gastarbeiter:innen in Deutschland. Weil dabei auch immer die Herausforderungen und Sorgen der verschiedenen turkodeutschen Generationen beleuchtet werden, verbindet der Film Musik und Politisches geschickt miteinander.

Wie auch bei den jährlichen Filmtagen erfordert das Sommerkino einen Spagat und schafft zugleich einen Brückenschlag. Zum einen sollen sowohl Kenner des türkischen Films als auch Türkei-Neulinge vom Filmangebot angesprochen werden. Zum anderen muss man auf diesen Wissensunterschied eingehen, um ein positives Filmerlebnis für alle zu garantieren.

Die Lösung dafür ist eine lebendige Kinokultur. Die Türkischen Filmtage zeichnen sich durch zahlreiche Publikumsgespräche aus, in denen Regisseur:innen und Darsteller:innen Einblick in ihre Arbeit geben. Auch für das Sommerkino wird daran festhalten. Um Fragen zu den Filmvorführungen zu beantworten, werden die jeweiligen Regisseure Can Merdan Doğan (STILETTO) und Cem Kaya (Aşk, Mark ve Ölüm) bei den Veranstaltungen zu Gast sein.

Taxifahrer Hasan (Murat Kiliç) sprengt im Kurzfilm Stiletto das definierte Männlichkeitsbild. ​​© Erkan Taskiran
„Früher war die Organisation noch viel komplizierter“

Ausschlaggebend für den Start der Türkischen Filmtage in München war das Anliegen, die Vielfalt der türkischen Kultur abseits von „Döner und Bauchtanz“ zum Ausdruck zu bringen. Als die griechische Community in München 1987 eine Filmwoche organisierte, war der Wunsch von Münchner Türk:innen und Türkei-Interessierten geweckt: Zwei Jahre später veranstaltete der neugegründete Verein SinemaTürk e.V. zusammen mit der Stadtbibliothek die ersten “Tage des türkischen Films”.

Die Mitorganisatorin Margit Lindner ist die Letzte im dynamischen und vielfältigen Team, die schon seit den Anfängen dabei ist. WhatsApp, E-Mails, generell das Internet, Filme im digitalen Format: Erst im Gespräch mit der studierten Turkologin wird deutlich, mit welchen technischen Hilfsmitteln das Festival heutzutage vorbereitet werden kann. „Früher war die Organisation noch viel komplizierter“, erklärt Lindner. „Die Filmkopien waren nicht digital, sondern nur als 35mm-Kopien erhältlich. Es war herausfordernd die Produzenten zu recherchieren oder überhaupt zu kontaktieren. Die Dialoge haben wir aus dem Türkischen oft selbst übersetzt und bei den Veranstaltungen live eingesprochen.“

Was gleich geblieben ist, ist jedoch das Anliegen, die künstlerisch und intellektuell wertvolle türkische Kino- und Filmkultur nach München zu bringen. Die deutlichen Anforderungen können dann dafür sorgen, dass es der Kassenschlager des türkischen Kinos in 2022 nicht ins Münchner Programm schafft. Die Türkei soll in ihrer Vielfalt und mit all ihren Widersprüchen präsentiert werden. Bei den zweiwöchigen Filmtagen finden sowohl die Metropole Istanbul als auch das ländliche Ostanatolien seinen Platz auf der Leinwand. Immer entlang an relevanten Diskursen wie den Rollen der Frau oder staatlicher Kontrolle. 

Wer bis Frühjahr 2023 nicht mehr warten kann, um sich vom Konzept der Türkischen Filmtage zu überzeugen, sollte sich die beiden Sommerabende als Kostprobe nicht entgehen lassen. Sowohl die fünf Kurzfilme zu Queerness in der Türkei als auch der Dokumentarfilm zur anatolischen Musik in Deutschland sind hochpolitisch und sehenswert. Es sind aber keineswegs seichte Themen oder leichte Kost. Wenn man jedoch genau hinsieht, kann man feststellen: Zu diesem Sommer voller Krisen würde das auch gar nicht passen.


Fünf Kurzfilme verhandeln am Dienstag, 26. Juli queere Themen im Open-Air-Kino an der Hochschule für Fernsehen und Film (Tickets). Vor dem Filmprogramm sorgt der Singer-Songwriter Sezgin Inceel gemeinsam mit dem Künstler Stas Mishchenko für Musik mit audiovisueller Begleitung. Im Anschluss an die Kurzfilme gibt es ein Filmgespräch mit Can Merdan Doğan, dem Regisseur von STILETTO.

Am Freitag, 12. August beleuchtet der Dokumentarfilm Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod die Musik der türkischen Gastarbeiter:innen in Deutschland und damit einen bisher kaum behandelten Teil türkodeutscher Gesellschaft. Bei der Filmvorführung im Neues Rottmann Kino wird auch Regisseur Cem Kaya zu Gast sein.

Text: Lukas G. Schlapp

Foto: filmfaust / Film Five