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Meine neue Gesellschaft

– Sevda Cakir

Meine Gesellschaft übernimmt endlich Verantwortung. Für ihre Worte, für ihre Taten. Sie steht dazu, was sie sagt und macht. Trifft sie eine Entscheidung, erklärt sie auch die Beweggründe. So kommen die Gedanken zu Tage, die hinter solchen aktiven Handlungen stehen. Meine Gesellschaft versteckt sich nicht. Sie geht einen Schritt auf die Konsequenzen zu. Sie kommt für die Folgen der begangenen Handlungen auf. Meine Gesellschaft kommuniziert in den Beschlüssen, warum sie die Plastikflaschen nicht im eigenen Land entsorgt. Zeigt Gesicht, wenn sie ihren Müll nicht entsorgen will. Bedankt sich über alle verfügbaren Kanäle beim Entsorger-Land, dass es diese wichtige Aufgabe gegen Währung für das Konsumenten-Land übernimmt. Meine Gesellschaft hilft bei der Beseitigung des Plastikmülls mit. Sie übernimmt über die Grenzen hinweg Verantwortung für die Natur. Denn meine Gesellschaft weiß, dass sie in ihrem Abkommen dafür haftet. Sie beaufsichtigt den Prozess der Plastikentsorgung, so dass er genauso wie im eigenen Auflagen-reichen Land geschieht. Trägt die Konsequenzen, wenn es zu Verstößen kommt. Die Strafgelder fließen in einen Fond im eigenen Land ein. Denn es gibt in meiner Gesellschaft Gesetze dazu, die die Folgen des Auflagen-Missbrauchs über die Landesgrenzen hinweg ahnden. So kommt es gar nicht dazu, dass meine Gesellschaft sich was vormacht. Sie trennt Müll, einen Teil verwertet sie wieder und einen Teil des Mülls verschickt sie – selbstbewusst. Daher kann es in meiner Gesellschaft auch nicht dazu kommen, dass es Hetze gegenüber dem Entsorger-Land gibt, wenn es den Müll in die Meere wirft. Denn meine Gesellschaft trägt Sorge für Mensch und Natur. Das ist ein Grundrecht für Mensch und Natur gleichermaßen, es steht in der Verfassung. In meiner Gesellschaft ist es nicht salonfähig, sich hinter MinisterInnen-Rollen zu verstecken, bei Amtsmissbrauch ungetadelt davon zu kommen, denn in meiner Gesellschaft gibt es von vornhinein ein Wissen über die Konsequenzen. So wie das Wissen über die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Meine Gesellschaft legt die Hintergründe der Vergehen des Rechtsterror innerhalb der eigenen vier Wände Nord-Süd-Ost-West offen dar. Sie zeigt die Akten, versteckt sie nicht. Aufarbeitung passiert gleich. Jahrzehnte und Jahrhundert später will sie nicht erst die alten Taten aufrollen, sie will nach so einer langen Zeit die Früchte der Aufarbeitung sehen. Meine Gesellschaft will kein Paramilitär in Form des Rechtsterrors. Sie bekämpft es. Meine Gesellschaft ist nicht rassistisch und fördert den Frieden. Meine Gesellschaft hat Gesetze, die nicht von RassistInnen aus alter Tradition kommen. Meine Gesellschaft überarbeitet die Verfassung. Sie beauftragt eine Kommission zur ständigen Überprüfung der Gesetze und deren Schreibenden. Meine Gesellschaft möchte wissen, warum eine Polizeidienststelle nicht besetzt ist. Meine Gesellschaft möchte Verantwortung für Leidtragende übernehmen, die nicht (mehr) klagen können. In meiner Gesellschaft übernehmen die Gewählten Verantwortung für ihre Anweisungen, die Auswirkungen haben. Sie hören auf die Forderungen der Wählenden. In meiner Gesellschaft können Anliegen in beide Richtungen entstehen: von unten nach oben, von oben nach unten. Die Gehorch-Regel ist keine Ausrede mehr, sich der Verantwortung zu entziehen. Denn Verantwortung übernehmen steht über Gehorchen, so die Gesetze. Meine Gesellschaft passt auch ihre Sprache an, nimmt verletzende Formulierungen aus dem Gebrauch und etabliert diese Art des Hinhörens. Meine Gesellschaft reflektiert sich selbst. Sie geht den Privilegien auf den Grund und bildet diese ab. Meine Gesellschaft steht dazu, an welcher Stelle Mensch und Natur benachteiligt werden, an welcher Stelle für Privilegien einiger weniger Mensch und Natur ausgebeutet werden. Meine Gesellschaft trägt Verantwortung, also sucht sie nach Möglichkeiten, diese Nachteile offen anzugehen. Meine Gesellschaft macht mit, weil sie Verantwortung trägt, das eigene Wohl nicht auf Kosten anderer auszuleben.

Meine Gesellschaft macht mich glücklich. Wir haben Verantwortung gelernt. Es fängt schon früh an, mit dem Lernort: den Bildungseinrichtungen. Meine Gesellschaft schafft Chancengleichheit für alle. Die Bildungswege werden geöffnet, versteckte Hürden und Klassifizierungen abgeschafft. Es gibt in meiner Gesellschaft ein Verständnis darüber, dass alle zur Gemeinschaft beitragen. Wir übernehmen Verantwortung für einander. Das ist eine Grundregel meiner Gesellschaft. Wir lernen mit der Verantwortung umzugehen. Der Weg ist lang, lebenslanges Lernen ist das. Das ist meine Gesellschaft.

#verantwortungübernehmen

#noparamilitares

#gesetzesänderung

Good vibes only

Good Vibes Only

… steht über dem Klingelschild, an der Tür meiner Freundin. 

Genau das wird heute mein Motto sein: Von nichts und niemandem meine gute Laune verderben lassen. Schönes Wetter, endlich, im Juni! Nach 42 Jahren kann ich mich immer noch nicht mit dem Wetter in München abfinden. Ich hoffe jedes Jahr ab April auf einen Frühling, der fast nie kommt. Bin ich dumm? Nicht jetzt, sage ich  mir. Grad bin ich endlich happy.

Inzwischen sind wir weitergezogen und haben bei einer weiteren Freundin geklingelt, die good vibes only miteinpackt:  to go. In ihrem Fahrradkorb läuft laut Musik über die Box. Der Rhythmus begleitet uns bis zum See, wie die neugierigen Blicke der PassantInnen. Als ungewöhnliches und auffallendes Trio passen wir nicht sofort in eine Schublade. Unser Viertel aber schon: Probleme, MigrantInnen, Angst.

Dank den good vibes halten wir uns die aggressiven AutofahrerInnen vom Leib. Um den Songs zu lauschen, fahren wir geschlossen. Dadurch beschützen wir uns gegenseitig. Die Fahrradstadt München kann es nicht, sie bietet keine Fahrspuren für RadlerInnen. Die motorisierten VerkehrsteilnehmerInnen fühlen sich gestört, wenn sie – auch bei 30km/h – nicht die gesamte Spur für sich beanspruchen können.  

Endlich am See, wir haben leicht geschwitzt und wollen uns abkühlen. Nach einer Runde um den See wissen wir, wo es uns gefällt und steigen ab. Die Musik ist aus, wir haben alle einen Ohrwurm. Eine Bank bietet noch Platz – unter Berücksichtigung der Pandemieregeln – und wir fragen höflich die BesetzerInnen, ob wir uns dazu gesellen können. Die Nicht-MigrantInnen wollen ihr imaginäres Handtuch ausgebreitet lassen. Die Kinder seien im Wasser, antworten sie. Kämen sie zurück, würden sie sich schon hinsetzen wollen. 

Ich sage nicht, was ich denke: Sie könnten auch das Teilen lehren, es vorleben. 

Wir nehmen unsere innere Musik mit zur nächsten Bank und vergessen diese Unannehmlichkeit. Das Wasser lenkt ab, wir sind lebendig da drin. Eine Entenfamilie hält auch zusammen, beschützt die Küken, teilt mit uns das Ufer. So bedrohlich können wir nicht sein, denke ich mir.

Ein Biergarten-Schild lockt uns in ein altes Etablissement, was aufgefrischt werden könnte: Durch uns. Dabei sind die schlechten vibes gemeint, die hier frequentieren. Kein Willkommen, keine Tischzuweisung, es ist klar, dass wir nicht gewollt sind. Ein Blick zu den anderen reicht, um zu verstehen, warum. Die BetreiberInnen und anderen Gäste sind Nicht-MigrantInnen. 

Wenn wir schon hier sitzen, dann lassen wir uns auch bedienen, gestatten das Servieren und Abtragen, obwohl die Speisekarte allein eine Diskriminierung des guten Gaumens ist. 

Grinsend kehren wir nacheinander Heim, sind erfüllt von unserer gemeinsamen Zeit. So einfach kann manchmal Glück sein.

Ich frage mich wie es wäre, wenn die Medien so berichteten: Deutsche, die überall und in jedem Probleme sehen, Angst und schlechte vibes verbreiten. 

Die Erlebnisse von heute sind keine Ausnahme. Wir Betroffenen wissen das. 

Wie überlebenswichtig good vibes sind! Seit 42 Jahren helfen sie mir in diesen Momenten wie heute. Ist das nicht dumm? Die Antwort hebe ich mir für später auf, wenn ich nicht happy bin. Dann denke ich darüber nach, warum ich schlechte vibes spüre.

#alltagsrassismus

#zugehörigkeit

#identität

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Verbündeter sein und die verborgenen Ecken Eminönüs