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Mutter Sprache

Wenn man mit zwei Sprachen aufwächst, was ist dann eigentlich die “Muttersprache”? Unsere Autorin Neslihan Yakut setzt sich mit diesem Begriff und ihrer eigenen Beziehung zu Sprache und Sprechen auseinander.

Beides oder Keines.

Es war im Dezember letzten Jahres. Ich öffne ein Formular in Pdf- Format mit dem Titel “Anmeldung zur Zulassungsprüfung”. Fragen soll ich beantworten, ganz simpel. 

Name

ich tippe: Neslihan Yakut 

Geburtsdatum 

Ich tippe: 16.Februar 1990

Geburtsort 

Ich tippe: Berlin, Berlin Kreuzberg. Berlin Kreuzberg- Urban Krankenhaus. 

Rechts in der Ecke steht dann noch, 

Muttersprache

Mutter spra che.  Das Wort dreht ne Runde in meinem Mund und knallt ein paarmal gegen die Backen. Ich tippe “t”, lösche. Ich überlege, ich tippe “d”, lösche. Ich tippe “türk”, lösche. Ich tippe “deut”, lösche. 

Ich öffne ein neues Fenster bei Firefox. Ich tippe Muttersprache. Als erstes Ergebnis zeigt mir Google ein Wikipedia-Beitrag an, worin die Muttersprache wie folgt definiert wird: “Als Muttersprache bezeichnet man eine vom Sprecher in der frühen Kindheit ohne formalen Unterricht erlernte Sprache.” Also beides? Ich lese weiter: ”Eine Sprache wird in der Regel durch eine enge Bezugsperson oder durch die Mutter vermittelt (daher „Muttersprache“).” Also türkisch? Lese weiter: “Verbunden mit dem Begriff ist außerdem eine allgemeine Vorstellung, dass die Muttersprache die Sprache ist, die ein sich verbal ausdrückendes Individuum (Muttersprachler) am besten beherrscht.” Nach der allgemeinen Vorstellung also, keines.

Schweigen in zwei Sprachen 

Es ist mittlerweile nichts sonderbares mehr zweisprachig aufzuwachsen. Es ist in einigen Bezirken in der Stadt, aus der ich komme, sogar eher die Regel als die Ausnahme. Doch oft fällt mir auf, dass ich es einfach nicht schaffe, eine von den mir zur Verfügung gestellten Sprachen zu beherrschen, Herr über sie zu werden. Sie zu bändigen. Sie anzueignen. Sie zu unterwerfen, Die knochenlose Zunge dorthin zu drehen, wohin die Sprache sie eben dreht.

Nie habe ich eine gottgegebene Berechtigung empfunden, Sprache mein Eigen zu nennen. Diese Worte aneinander zu reihen, sie zu biegen, durch sie Sinn weiter- und wiederzugeben. Irgendwie hatte sie immer etwas Gequältes, die Sprache, wenn sie aus meinem Mund kam. Irgendwann dann fing ich an zu schreiben und sie war soviel schöner auf dem Papier als auf meiner Zunge. Mein Unbehagen  verbaler Sprache gegenüber könnte darauf zurückgeführt werden, dass ich als Kind immer wieder und wieder und wieder darauf aufmerksam gemacht wurde, anders zu klingen. Das  führte dazu, dass ich eine Weile nicht mehr sprechen wollte und schwieg. Ich schwieg so lange, bis meine Eltern von der Schule vorgeladen wurden. Kinder können sehr nachtragend sein. Ich schwieg zwei Wochen in zwei Sprachen. Ich war nicht einmal die Einzige, die so klang. Ich teilte die misslungenen Laute mit vielen anderen Kindern aus meiner Schule. Aber ich war ein sehr empfindliches Kind, das zu einer sehr empfindlichen Frau heranwachsen sollte. Hier  liegt keine Wurzel-Romantik im Schweigen –Wozu sind Wurzeln gut, wenn man sie nicht mitnehmen kann-  noch suchte ich nicht grundsätzlich nach dem Gefühl verwurzelt zu sein , dazuzugehören- unbekannte Konzepte, denen ich mich noch nicht hatte ernsthaft stellen müssen-  aber mensch hatte immer den Drang mich irgendwo hinzustellen, meine Füße hineinzubuddeln in die Erde -aus der ich erschaffen wurde, so der Islam-, um sagen zu können: die ist von hier. Dass ich auf deutsch Dinge anders aussprach, war oft Grund genug, mir das Deutsche abzusprechen. Im Türkischen verhielt sich das anders, denn nicht nur auf die Sprache stützte sich meine Zugehörigkeit zu dem Kulturkreis. Deutsch war etwas Geborgtes. Fragil. Etwas sehr Wertvolles, das ich per Zufall erhalten hatte, etwas, woran ich immer arbeiten musste, dem würdig zu sein. Aber, nie konnte mein Mund dem gerecht werden.

War ich echt zu blöd, um es richtig zu sagen? 

-NA SO SCHWER KANN ET JA NET SEIN!!-

Das waren wir ja auch alle, unseresgleichen, sagte mir mal ein schwer betrunkener Penner auf dem Schulweg, während seine warme Pisse dampfend auf die eiskalte Fassade meiner Grundschule prallt.

Ich über setze 

ich bin 7 

meine Mutter kann kein deutsch 

ist somit sogar blöder als ich

zwingt mich mit ihr mitzugehen

sie möchte ein teppich kaufen

irgendwo im osten

sie zwingt mich oft

wie gesagt, sie spricht kein deutsch

wir fahren mit der s-bahn 

das find ich toll.

wie gesagt, ich bin 7

wir steigen aus und folgen der straße, 

die sich vor uns auftut.

landen 15 Minuten später 

in einer halle voll mit teppichen 

teppichparadieso!!!

heißt es

ich frage mich, wo das “o” herkommt.

Mutter sucht sich was aus,

will es kaufen. 

ich soll übersetzen.

der mann an der kasse 

trägt ne wampe vor sich und ist kahl. 

wir gehen auf ihn zu. 

meine Mutter spricht, 

ich über setze. 

er verstehe nicht.

ich über setze erneut.

er verstehe nicht. 

dann ist er wütend. 

gott weiss warum. 

er übersetzt jetzt für mich 

er mag uns nicht. 

ich verstehe nicht ganz warum, 

aber verstehe es im nachhinein, 

so wie ich vieles erst im nachhinein verstehe. 

ich nehme die hand meiner Mutter. 

wir gehen zurück zur s-bahn, 

ohne teppich

Mutter fragt: was war?

sie weiß es eigentlich, 

aber muss so tun, als ob.

ich über setze 

Die Teppiche stehen wohl nicht zu Verkauf Anne

sie nickt

ich merke, 

scheiße ich bin auf mich allein gestellt 

Ich frage mich, wann ich gemerkt hätte , dass ich auf mich allein gestellt bin, hätte ich eine Mutter gehabt, die Deutsch gekonnt hätte. 

Vollgestopfte Luftröhre 

Noch heute ertappe ich mich zu oft dabei, wie ich mich beim Sprechen mit Muttersprachlern verkrampfe. Wie ich mich über ihren natürlichen Umgang mit Sprache wundere und auch immer etwas neidisch werde. Wie ich versuche es ihnen nachzuahmen, und wie es  dann heftig nach Nachahmung stinkt im Raum. Nie meins, nie benutzt, nur imitiert.

Wie viel das über uns sagen kann, wa? Dieses eine Wort, diese zwei Buchstaben nebeneinander, die beim lesen konkret klingen müssten, es aber einfach nicht tun wollen, verdammt! Wie ich jedes mal sehr bewusst höre, wie meine Zunge das gesprochene Wort knechtet. Wie sie sich dann wälzen und regen und zwingen, wie sie leiden in meinem Mund, wie sie erstarren und nicht raus wollen, wie sie sich in meiner Kehle verstecken. Vollgestopft ist meine Luftröhre mit diesen Wörtern, wie ein Autobus der 16 Millionen-Stadt Istanbul, an einem Montagabend. Meine Sprache ist verwirrt und ängstlich, wie ein nie wirklich gewolltes und ungeliebtes Kind. Ein Kind mit Vater-Mutter-Opa-Oma-Schwester-Onkel-Tante-Schwager-Komplexen. Ein Kind mit einem Gesellschafts-Komplex. Ein Kind mit einem ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Meine Sprache ist paralysiert, hatte starke Traumata, ist deswegen zerbrechlich und betrachtet die Außenwelt aus ihrer Wunde heraus, weswegen alles blutig und verklebt aussieht. 

Ich möchte nicht falsch verstanden werden, ich halte nichts davon Sprache als etwas Identitätsstiftendes zu betrachten…Scheiß drauf. Das einzige, was Sprache trägt, ist Sprache. Sie referiert auf sich und nur auf sich. Sie ist unfähig für etwas anderes als sich selbst zu stehen. Sie ist misslungen, die Mutter Sprache. Sie ist durchdrungen mit sinnentleerten Strukturen, mit stimmentleerten Worten. Sie ist durchtrieben. Sie ist feige, die Mutter, und frisst ihre eigenen Kinder, nicht einmal um kronosartik einer Prophezeiung zuvorzukommen, sondern einfach so, weil sie es kann.  

Text: Neslihan Yakut

Foto: Aliş Hüseyin Karataş

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