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Von einer türkischen Sopranistin, viel Jazz und anatolischen Liedern

Auf einen Çay mit Özlem Bulut

Vor ihrer nächsten Gesangsprobe treffe ich Özlem Bulut auf einen Kamillentee – vom typischen türkischen Çay gab es bereits genug zum Frühstück. Özlem, in Mersin, Istanbul und Wien ausgebildete klassische Opernsängerin, hat viele Jahre an der Wiener Volksoper gesungen. Nun bereichert sie die Musikszene mit verschiedenen unkonventionellen Projekten: von den orientalisch inspirierten Jazzklängen der Özlem Bulut Band bis hin zur fünfteiligen Konzeptkonzertserie Anatolischer Liederabend, die aktuell in Wien läuft.

Die musikalische Karriere der türkisch-kurdischen Sängerin Özlem Bulut begann offiziell, als sie mit 15 Jahren am Musik-Konservatorium von Mersin aufgenommen wurde. Dort kam sie erstmals mit Klavier und Opern in Kontakt – die Oper sollte in den kommenden acht Jahren das Hauptziel ihres Lebens sein. Nach der Ausbildung in Mersin studierte sie an der Mimar Sinan Üniversitesi in Istanbul, im Jahr 2005 kam sie schließlich für ein Auslandssemester nach Wien. „Ich wollte Opernsängerin werden, darum hat es mich nach Wien gezogen“. Eigentlich wollte Özlem nur ein Semester bleiben – nun sind es bereits 12 Jahre und Wien wurde zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt.

In Wien begann Özlem ihr Masterstudium, kurz vor dessen Abschluss im Jahr 2008 ist sie als Karenzvertretung an die Wiener Volksoper gekommen und wurde schließlich in eine Festanstellung übernommen. In dieser Zeit begann sie auch, ihre eigenen Projekte zu entwickeln, spielte Konzerte, war viel unterwegs. „Das war natürlich nur schwer mit einer Fixanstellung zu vereinbaren. Irgendwann war eine Entscheidung notwendig, und die ging für die eigene Musik, die eigenen Projekte, aus“.

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Identitätsfindung in einem fremden Land

Diese Entwicklung erscheint in gewisser Weise überraschend: Die Frau, die so viele Jahre ihres Lebens darauf ausgerichtet hat, Opernsängerin zu werden, kündigt diesen Job nach sechs Jahren, um sich plötzlich auf die Musik ihrer anatolischen Wurzeln zu konzentrieren.

Wenn man in einem fremden Land ist, sich etwas fremd fühlt, dann sucht man etwas. Man schaut sich selbst an, geht ein bisschen tiefer, fragt sich: Was will ich überhaupt machen?

Es gäbe ja auch noch andere Melodien und Lieder, die man singen möchte: „Wenn ich komponiere, dann komponiere ich keine Arie. Wenn ich summe, dann summe ich nicht Puccini“, reflektiert sie ihren damaligen Entscheidungsprozess.

Nach der Entscheidung sich gänzlich der eigenen Musik zu widmen und ihren eigenen Weg einzuschlagen, sei alles recht schnell gegangen: es kamen Konzerte, Preise, Aufträge. Neue Menschen zum Musizieren, mehr Kraft und Mut für die eigene Sache: „Ich habe mich in den Fluss geworfen und mich treiben lassen“ – hin zu ihren anatolischen Wurzeln, um daraus einen eigenen Stil zu kreieren. Darin vermischt sich unter anderem orientalischer Gesang mit klassischen Techniken, das macht diese einzigartige und verführerische Musik aus. In Genres einordnen kann man sie kaum.

In der Musik verschwimmen Grenzen

Mit der Özlem Bulut Band veröffentlichte sie 2014 das Album Aşk (dt. Liebe), das auf verschiedenen Plattformen mit Attributen wie klassisch, Jazz, Folk, World, Country und Soul beschrieben wird. Vermutlich reichen diese Kategorien nicht aus. Özlem selbst sagt, dass das Album Jazz mit türkischer Musik und orientalischen Klängen verbindet, aber darüber hinausgeht. Auch deshalb, weil Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem musikalischen wie kulturellen Hintergrund an dem Projekt mitwirken. „Jeder bringt natürlich die eigenen Erfahrungen und Hintergründe ein, alles mischt sich und dann kommt noch viel Jazz hinzu.“

Anatolische Liederabende mit Herzschmerz

Die Vielseitigkeit von Özlem Bulut zeigt sich bei ihrer aktuellen fünfteiligen Konzeptkonzertreihe Anatolischer Liederabend in Wien, in der sie traditionelle türkische Musik interpretiert. Gemeinsam mit Nejla Melike Atalay am Klavier spielen sie die Lieder, die sie mögen: „Wichtig ist vor allem, dass eine persönliche Verbindung zu dem Lied besteht. Es sind Lieder, die man einfach kennt, weil sie die Mutter früher gesungen hat, man sie im Radio gehört hat“.

Die traditionelle türkische Musik, die an diesen Abenden zum Besten gegeben wird, ist vornehmlich alte Musik, alte Lieder, deren Schöpfer zumeist anonym sind. Die Lieder wurden mündlich weitergegeben und erst mit der Zeit niedergeschrieben und professionalisiert. Die Volkslieder stammen aus verschiedenen Gebieten der Türkei. Oft gibt es in den Texten Hinweise auf Orte oder man kann über den Dialekt die Verbindung zu einer gewissen Region herstellen.

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Auch die Zukunft bleibt ein Fluss  

Auf die Frage, ob sie wieder auf die Opernbühne zurückkehren möchte, reagiert Özlem etwas zögerlich. Die Möglichkeiten dafür wären gegeben – das Wiener Publikum findet eine türkische Opernsängerin interessant. „Mir geht es aber mehr darum, ob das Publikum meine Musik mag, und nicht, wie ich beispielsweise Mozart interpretierte“, sagt sie. Aus dieser Perspektive ist derzeit keine Rückkehr an die Oper geplant. Dennoch übt Özlem jeden Tag mehrere Stunden auch den klassischen Gesang, um stets in Topform zu bleiben – man weiß ja schließlich nie.

Ähnlich ist es mit Konzerten in der Türkei, in konkreter Planung ist derzeit nichts. Einerseits weil sie kein großer Name in der Türkei sei, andererseits seien die Konzertmöglichkeiten in der jüngeren Vergangenheit weniger geworden. Möglicherweise ergibt sich aber im Frühjahr 2018 wieder etwas. In diesem Sinne: Augen auf, Ohren auf.

Text: Elisabeth Nindl
Fotos: Elisabeth Nindl, Bulut Photography

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