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„Es geht um ihre Realitäten, nicht um unsere Annahmen darüber.“

Ein Online-Filmfestival über Migration

Vom 14.-21. Juni findet das erste „International Migration Film Festival” statt. Eigentlich geplant ganz traditionell offline in der Türkei, wird das Festival nun durch Corona auch zu einem der ersten Filmfestivals, das komplett online stattfindet. 
Mit Programmdirektorin Hülya Demirden haben wir darüber gesprochen, was die Gäste des Festivals aus und in aller Welt online erwarten wird, und wie Migration hier im Fokus steht. 

Maviblau: Was ist das International Migration Film Festival?

Hülya Demirden: Das IMFF ist angesetzt als eins der größten thematischen Filmfestivals, welches das Thema Migration durch das Erzählen persönlicher Geschichten im Kontext Film angehen möchte. In der Türkei leben geschätzt 5,3 Millionen Einwander*innen und Geflüchtete. Damit allein ist das Thema hier ein Dauerbrenner. Aber auch international verhandeln wir Migration politisch, gesellschaftlich und persönlich ja immer wieder neu. Wichtig also, Formate zu finden, um über dieses Thema zu reden, zu lernen und einander besser zu verstehen. Die Generaldirektion für Migrationsmanagement hat das Festival initiiert und Ehrenpräsident ist der Oscarpreisträger F. Murray Abraham, der selbst Sohn eines syrischen Geflüchteten ist. Es gibt einen Internationalen Spielfilmwettbewerb mit dem Regisseuren Nuri Bilge Ceylan in der Jury und einen Internationalen UNICEF Kurzfilmwettbewerb. Und alles, wirklich alles, findet bei diesem ersten Mal online statt.

Maviblau: Wie wird man dem Thema „Migration” in einem Filmfestival gerecht? Welche Herangehensweise habt ihr bei der Programmerstellung gewählt?

Hülya Demirden: Es war tatsächlich eine große Herausforderung, uns durch so ein großes Thema zu navigieren. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen unglaublich mobil sind, und auch enorm viel Umsiedlung stattfindet. Menschen bewegen sich von dem einen Ort zu einem anderen. Das geschieht aus ganz unterschiedlichen Gründen und das Wort „Migration” umfasst sie alle. Bei diesem Festival haben wir uns auf die unfreiwillige, bzw. erzwungene Migration fokussiert.  Also auf Menschen, die ihr Land nicht aus eigenem Wunsch heraus verlassen haben, sondern es aufgrund eines Bürgerkriegs oder wirtschaftlicher Entwicklungen, sozialer Probleme, wie Rassismus usw. verlassen mussten.  Das war die erste Prämisse, die wir hatten. Dann haben wir Migrationsgeschichten priorisiert, die von migrantischen Filmemacher*innen geschrieben, inszeniert oder produziert wurden. Denn: wir wollen die Insider-Perspektive. Wir wollen ja nicht für oder über Migrant*innen sprechen, sondern ihnen zuhören. Sie erzählen bei diesem Festival von ihren Realitäten statt wir von unseren Annahmen darüber. 
Ein weiterer Punkt, der uns ganz wichtig war, war die Handlung. Sie musste zwei Qualitäten mit sich bringen: zum einen musste sie mit den Stigmata und Stereotypen von Migrant*innen brechen. Wir wollten echte Charaktere mit Dimensionen und ohne Klischees. Zum anderen waren uns positive, hoffnungsvolle Erzählungen wichtig. Denn Migration ist ein schweres Thema und Hoffnung ein wichtiges Mittel zum Überleben. Um diese zwei wichtigen Qualitäten für die Filme auch zu betonen, werden wir einen Preis für das inspirierendste Drehbuch verleihen.

Maviblau: Wie wird es denn aussehen, so ein ganzes Filmfestival online zu gestalten?

Hülya Demirden: Das war eine weitere Herausforderung, nicht nur für uns als Programmteam sondern für das gesamte Festivalteam. Als wir uns dafür entschiedenen haben, das IMFF online zu machen, war uns direkt klar: wir werden das Programm nicht reduzieren und nur Filme online streamen. Wir wollen ein „echtes Filmfestival” online! Das bedeutet, Preisverleihungen online, Fragerunden mit Filmemachenden online, Workshops, Begegnungen, Ausstellungen – all das im Netz. Das Filmprogramm zum Beispiel kann vom 14. bis 21. Juni auf der FestivalScope-Plattform verfolgt werden. Die Filmvorführungen sind kostenlos, aber es gibt es ein Limit für 1000 Zuschauende, deshalb rate ich den Festival-Followern, sich schnell Karten zu besorgen.  

Maviblau: Kann man online von überall dabei sein?

Hülya Demirden: Das tatsächliche Filmprogramm ist das einzige, was nur aus der Türkei heraus angeschaut werden kann. Das liegt einfach daran, dass Filme ja ihre Premieren auf Festivals in verschiedenen Ländern haben. Um da keinem Film etwas wegzunehmen, beschränken wir uns deshalb hier lokal. Der Rest des Festivals findet aber weltweit zugänglich online statt! Fragerunden zu jedem Film finden zum Beispiel auf Instagram Live statt. Es wird auch eine breite Palette an Vorträgen und Interviews auf Instagram Live geben, darunter zB. mit Matt Dillon, F. Murray Abraham, Çağlar Ertuğrul oder Feyyaz Duman. 
Und daneben gibt es noch Masterclasses von renommierten Filmschaffenden und Schauspieler*innen auf Zoom. Die sind allerdings mit begrenzter Teilnehmer*innenanzahl und Migrant*innen bzw. Geflüchtete haben da Vorrang. Anmelden kann man sich über die Webseite des Festivals. Sowieso findet man eine einfache Übersicht des Programms und zugehörige Uhrzeiten und Links auf der Webseite. Da wird einem schnell alles klarer.

Maviblau: Was sollen Leute von diesem Filmfestival mitnehmen?

Hülya Demirden: Ich hoffe, die Leute können die echten Menschen in den Filmen sehen, echte Geschichten hinter den Vorurteilen und Labels. Das klingt vielleicht ein bisschen klischeehaft, aber ich glaube immer an die einigende Kraft von Film. Filmfestivals geben uns die einmalige Gelegenheit, zusammenzukommen. Wir können verstehen und erkennen, dass wir zwar Unterschiede haben, aber wir haben auch so viel gemeinsam.

Text: Redaktion
Bild: International Migration Film Festival, Midnight Traveler

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