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Hardcore: Die Öffis in Istanbul

Das Reisen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hat in Istanbul seine Vorteile. Es ist recht billig, als Ausländer entgeht man wohlmöglich überteuerten Taxi-Fahrten und wenn man sich mit der Metro, dem Metrobus oder wohlmöglich der Fähre durch die Stadt bewegt, entgeht man auch dem immerwährenden Stau. Das Metro-Netz wird immer größer, mit der Istanbul-Kart kommt man für schlappe zwei Lira von A nach B und die Trafi -App verhilft einem, Überblick zu bekommen. Alles ganz wunderbar. Doch: So eine Fahrt mit den Öffentlichen hat es in sich. Ein ganz besonderes Erlebnis ist die Fahrt mit dem Metrobus.

Der Metrobus ist ein Bus, der auf einer eigenen Spur von der europäischen Seite über die Bosporusbrücke zur asiatischen Seite und zurück fährt. Es ist wohl die schnellste Verbindung beider Seiten miteinander und – besonders für weichgewaschene Europäer – die, mit den größten Herausforderungen.

Nehmen wir eine Fahrt von Europa nach Asien. Die Endhaltestelle auf der asiatischen Seite trägt den protzigen Namen: Söğütlüçeşme. Übersetzt ist das einfach: Weidenbrunnen. Protzig ist der Name im Türkischen aber trotzdem, zumindest für eine Durchschnitts-Kartoffel ohne nennenswerten Hintergrund. Man stelle sich nämlich vor, um dort hinzukommen müsse man sich diesen Namen merken, ihn aufschreiben und auch aussprechen. Eine wirkliche Herausforderung!

Hier eine Hilfe für alle ohne Türkisch-Hintegrund. So spricht man Söğütlüçeşme aus.: Das ğ ist ein stummes g, das heißt man haucht einmal lautlos in die Luft, das ç ist wie das tsch bei Tschechien und das ş, noch das geringste Übel aller, ist ein einfaches sch. Und nun im Ganzen: Söööütlütscheschme. Und schon kann man sich stolz Gebraucher der türkischen Sprache nennen – Vorausgesetzt man bringt das Ganze einigermaßen flüssig rüber, wenn man im heulenden Verkehr Istanbuls nach dem Metrobus und dessen Haltestelle fragt.

Hat man diesen ersten Schritt vollbracht, und steht nun am richtigen Ort, muss man sich nur noch durch das Getümmel in die vollbepackten Metrobusse quetschen. Hat man bei einem Türkeibesuch Angst, nicht in wirkliche Berührung mit den Menschen vor Ort zu kommen, kann man hier erfahren, dass diese Angst unbegründet ist. Teilweise muss man sich an seinem zwei Zentimeter entfernten Mitfahrer festhalten, da die Busse so vollgestopft sind, dass man nicht mal an mögliche Haltestangen oder -schlaufen kommt. Es gibt da ein wunderbares Video einer Youtube-Bekanntheit, das diese Situation unglaublich präzise wiedergibt.

Dazu muss kurz gesagt werden, dass dieses Video auf einem Werbevideo von IETT, dem Anbieter öffentlicher Verkehrsmittel, basiert. Dort geht im sonnigem Ambiente ein gut situierter Mann beschwingt zur Arbeit, vorbei an dem vor seinem Haus wartenden Chauffeur und hin zum Metrobus. Dort liest er bequem die Tageszeitung, während der Metrobus ihn sicher und ruhig zur Arbeit bringt. Eine feierliche Stimme kommentiert dazu, welche Möglichkeiten der öffentliche Verkehr dem zukunftsgewandten Menschen in dieser modernen Stadt bietet. Der Vollständigkeit halber hier das Video.

Doch eine realitätsnähere Version präsentiert Hayrettin mit seinem Youtube-Video.

Wenn man dann letztenlich schweißgebadet und warmgekuschelt in Söğütlüçeşme aussteigt, hat man die Feuertaufe bestanden, und ist nun bereit für jegliche Art von Verkehrstransportation in der Türkei. Wie zum Beispiel das Dolmuş.

Das sagenumwobene Dolmuş ist ein Großraumsammeltaxi und auch in diesem kommt der Körperkontakt nicht zu kurz. Dolmuş bedeutet übersetzt vollgefüllt, und das ist die Logik dieses gelben Kleinbusses. Das Ziel steht vorher fest, und der Fahrer wartet, bis der Wagen voll ist. Dann geht es los. Der Dolmuş-Fahrer ist Multitasker, er fährt, gibt Auskunft und koordiniert Zahlungen zugleich. Hier funkioniert die Istanbul-Kart nicht. Man zahlt bar, von zwei bis sieben Lira. Diese werden nach vorne durchgegeben, das Rückgeld wandert auch wieder von einer Hand zur anderen. Hier hilft wieder nur das Erlernen türkischer Ausdrücke: Bir tane, iki tane – ein oder zwei mal nach Taksim, Üsküdar, Yeşilköy.  Dann geht es in einem gemütlich-gefährlichen Affenzahn durch die Stadt und es erklärt sich dabei von selbst, warum Istanbul beschrieben wird als Stadt, die auf sieben Hügeln erbaut wurde. Anschnallen ist nicht – dass man bei starken Kurven auch manchmal dem Sitznachbaren auf den Schoß rutscht, könnte man als die persönliche Note beschreiben, die diesen Fahrten innewohnt.

Dennoch, man freut sich, dass man sitzt und auch die Bezahlung gemeistert hat. Der Stress beginnt erst wieder, wenn es ums Aussteigen geht. Hilfreich ist es natürlich, wenn man die Strecke kennt. Oder, wahlweise, wenn man jemanden findet, der sich der eigenen Hilflosigkeit annimmt, und an der richtigen Stelle den Fahrer auffordert, doch eben hier zu halten. Denn: will man nicht unbedingt an der Endhaltestelle, sondern schon früher raus, muss man sich bemerkbar machen.

Das Tolle: wenn der Verkehr zähflüssig ist – was er ja meistens ist – kann man an jeder passenden Stelle aussteigen. Das unglaublich Beängstigende für Neulinge, Ausländer und Unforsche: wie kann man wissen, wo man raus muss, wenn das nirgendwo klar steht. Und wie kann man das dann auch noch vermitteln? Und hier kommt man dann endgültig mit den Einheimischen ins Gespräch.

Es gibt ein Computerspiel, das sehr passend die Atmosphäre der Dolmuşfahrten wiedergibt. In diesem Spiel ist man Dolmuş-Fahrer und muss seine Gäste einsammeln, herauslassen und so schnell wie möglich durch den Stadtverkehr.  Schon beim Anschauen wird einem von der Geschwindigkeit und dem ständigen Hin und Her ganz schwindelig. Und so ungefähr fühlt sich das auch in echt an.

Hat man eine Dolmuşfahrt physisch und psychisch einigermaßen heil überstanden, so ist man nun wirklich fast mit allen Wassern gewaschen und verdient den Leckerbissen unter den öffentlichen Verkehrsmitteln in Istanbul.

Die Fahrt mit der Fähre über den Bosporus ist ein einzigartiges Erlebnis. Und gleichzeitig ist die Strecke für viele Menschen ein Teil des alltäglichen Weges zur Arbeit. Deshalb ist sie so günstig wie jede andere Strecke. Trotzdem hat man beim Besteigen der Fähre das Gefühl, dass dies eine eigens für das Vergnügen und die Entspannung gemachte Reise ist, auf die man sich begibt. Um einen herum der Geruch von Schiff und Meer. Mit dem Ablegen verstummen die Geräusche der Stadt um einen und doch wird man sich ihrer Größe viel bewusster. Die Landmassen der europäischen und asiatischen Seite zeichnen sich ab. Die Bosporusbrücke auf der einen Seite, die alte Stadt mit dem Topkapı-Palast, der Hagia Sophia und der blauen Moschee auf der anderen Seite. Drum herum himmelblaues, schäumendes Wasser und Möven im Sturzflug. Und, damit die Überfahrt noch behaglicher wird, kann man sich einen Tee, Orangensaft und ein Sandwich bestellen.

Und allein diese Fahrt entschädigt alles Drängeln und Schwitzen, das man sich im Metrobus, dem Dolmuş oder anderen Fortbewegungsmitteln antun musste. Und trotzdem: all diese Wege haben etwas für sich, und wenn es auch die Geschichten sind, die man erzählen kann oder die Videos, und Videospiele, die aus ihnen entstehen.

Titelbild: Ege Soyuer

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