“Langsam reicht es mit diesen türkischen Themen”, sagt Tevfik Başer und zündet die nächste Zigarette an. Wir haben uns mit ihm getroffen, um über seinen Film – den Film, den jeder Kinofan des deutsch-türkischen Kinos kennt – zu reden: “40 Quadratmeter Deutschland” war neu und anders, damals, 1986. Dass das türkische Gastarbeiterleben im Film thematisiert wurde, das war nicht neu. 1975 hatte Helma Sanders-Brahms mit “Şirins Hochzeit” ein kontroverses Drama auf den deutschen Filmmarkt gebracht. Und auch in der Türkei gab es Filme wie das 1979 produzierte Drama “Almanya Acı Vatan” von Şerif Gören. Was allerdings neu war, war, dass ein türkischer Filmemacher dieses Thema von innen heraus einem deutschen Publikum zugänglich machte. Tevfik Başer schlug eine Erzählbrücke zwischen der Türkei und Deutschland, indem er mit Stereotypen und dem Blick von außen, der solchen Filmen seinerzeit anlastete, brach. Seine Perspektive und eigenen kulturellen Erfahrungen machten es ihm möglich, beide Länder in einem Film zu vereinen und somit ein interkulturelles Filmprojekt zu kreieren. Damit, so liest man es in Werken der Filmwissenschaft, setzte er den Startschuss für das sogenannte ‘deutsch-türkische Kino’, welches besonders berühmt und geprägt wurde durch Vertreter wie Fatih Akın oder Thomas Arslan.
Tevfik selbst meint diesbezüglich: “Ich kann dazu nichts sagen. Ich war damals einfach die Vorurteile leid, die ich in diesen Filmen auf deutscher und türkischer Seite sah. Und wollte meinen ersten Film drehen.” Dass dieser so große Kreise ziehen würde, konnte er damals nicht ahnen. Nun ist es Fluch und Segen zugleich, denn er wird immer wieder mit der deutsch-türkischen Thematik konfrontiert. Wenn ein Film, ein Drehbuch, eine Idee, dann bitte mit türkischem Bezug – so schallt es aus Deutschland. Doch es reicht ihm. Andere Leute sollen neue Geschichten erzählen, findet er, und unterrichtet nun lieber Film an der Kadir Has Universität. Doch einmal wollen wir ihn noch ausfragen, über dieses Deutsch-Türkische. Über 40 Quadratmeter Deutschland.
Am Galataturm treffen wir uns mit ihm auf einen Çay. Der Zucker zersetzt sich im heißen Wasser und Tevfik erzählt. Von der Zeit des Drehs, dreißig Jahre zuvor. Er, damals Dokumentarfilmstudent in Hamburg. Aus seiner WG heraus beobachtet er eine Frau in einer der Wohnungen im Hinterhof. Sie steht am Fenster und lugt hinter den Gardinen hervor. Tevfik sieht sie oft dort stehen. Fragt sich nach ihrem Leben. Und weiß: so etwas kann man nicht durch einen Dokumentarfilm erzählen, das muss ein Spielfilm sein. Und in seinem Kopf braut sich eine Geschichte zusammen, die von Isolation erzählt – ein Thema, das ihn bis heute nicht loslässt und sich in seinen Projekten wiederfindet. Von der Isolation einer Frau in einer Welt, die ihr komplett fremd ist. Wie wäre es wohl, von einem anatolischen Dorf in eine europäische Stadt gebeamt zu werden? Einfach plötzlich dort zu sein?, fragt er sich, als er einige Zeit in London verbringt. Der Gedanke begleitet ihn zurück nach Hamburg. Und die Geschichte webt sich weiter: Diese Frau, auf nur wenige Meter, eine kleine Wohnung, eingesperrt von ihrem Mann, nicht wissend, was die Welt da draußen für sie bereithält. Nicht wissend, nach welchem Gesetz dort gespielt wird. Was passiert mit so einer Frau? Und was passiert, wenn der Freiheitsdrang regelrecht zu einem unerträglichen Druck wird?
Die Planungen für den Film beginnen – Sponsoren finden sich allerdings kaum. Also muss jeder mit anpacken: die Mitbewohner aus Tevfiks WG, seine damalige Freundin, Bekannte, Verwandte: alle arbeiten und spielen drauf los, übernehmen vielfältige Aufgaben. “Ich habe auch in dem Film mitgespielt”, erzählt Tevfik Başer. “Der Mann im Auto, das war ich.” Gedreht wird in Hamburg. Sogar die Erinnerungsfrequenzen, in denen sich die Frau in ihr paradiesisch anmutendes anatolisches Dorf zurücksehnt, sind in der Stadt an der Elbe entstanden. “Wir fanden eine Gegend, der wir mit etwas Kreativität eine anatolische Atmosphäre geben konnten”, erzählt Tevfik. Er kramt in der Tasche und holt Zigaretten und Feuerzeug heraus.
Irgendwie wird der Film fertig. Aber niemand interessiert sich für den Streifen. Tevfik Başer geht also Klinken putzen, läuft auf der Berlinale von Stand zu Stand – ohne Erfolg. Ein Kumpel rät ihm nach Cannes zu fahren. Ich, nach Cannes?, denkt der Filmstudent, der erstmal seine Miete zahlen muss. Doch er fährt hin. Mit einer einzigen Kopie des Films. Eine Freundin, die Französisch spricht, kommt quasi als Simultanübersetzerin mit, denn Untertitel gibt es für den Film noch keine. Eine Gruppe Filmkritiker weist ihn ab. Er solle seine Kopie dalassen, sie würden drüberschauen, sagen sie. Doch was ist mit der Sprache… JETZT müsse man ihn sich ansehen!, sagt Tevfik, schließlich sei jetzt seine Freundin vor Ort. Die Cannes-Kritiker sind verwundert. So eine naive Dreistigkeit kann nur von Anfängern kommen. Doch sie überzeugt. Man schaut den Film. Bis zur letzten Minute. Und er wird in diesem Jahr der einzige, der aus Deutschland nach Cannes eingeladen wird. Danach reißt man sich um ihn.
“Das ist die Filmindustrie”, sagt Tevfik. Hat ihr Gutes und Schlechtes. Ist immer unberechenbar. Dieses Mal unberechenbar gut – der Film wird ein Hit. Und geht in die deutsch-türkische Filmgeschichte ein.
Tevfik nimmt einen Schluck aus dem tulpenförmigen Teeglas. “Und den alten Schinken wollt ihr zeigen, dafür interessiert ihr euch?“, fragt er uns. Wir nicken aufgeregt. Es ist ein toller Film. “Naja”, sagt er. “Warum nicht?” Der Lottomann schaut vorbei. Tevfik kauft ein paar Lose für das Wochenende. Dann lädt er uns zu sich nach Hause ein. Nach zwei Jahrzehnten Hamburg lebt er nun seit 13 Jahren direkt um die Ecke des Galata-Turms. “Auf einen Kaffee. Mit Bosporusblick”, sagt er.
Am Donnerstag, den 12.05. um 14.00 Uhr zeigen wir seinen Film “40 Quadratmeter Deutschland” im Rahmen der Turkish Movie Days. Tevfik Başer wird auch dabei sein und nach dem Film Fragen des Publikums beantworten. Schaut doch vorbei. Hier geht’s zum Event.
Text: Marie Hartlieb, Tuğba Yalçınkaya
Bilder und Redaktion: Sabrina Raap