Deutsch-türkische Beziehung, das ist ein Zauberwort gefüllt mit wunderbaren Klischees, bunt ausgeschmückt in Filmen wie “Meine verrückte türkische Hochzeit” (Das Zusammentreffen des blauäugigen Deutschen und der heißen Türkin inklusive Familienchaos, Kopftuch, Zwangsheirat und Vorhautsentfernung) oder “Kebab Connection” (Kinderglück von türkischem Macho und deutscher Maulefrau).
Doch wie sehen solche Beziehungen wirklich aus? Was sind die kulturellen und persönlichen Herausforderungen? Welche Vorteile ergeben sich aus dem deutsch-türkischen Mix? Und was ist dran an den Stereotypen, die in den Medien überall auftauchen?
Vorurteile von Außen: Kopftücher und Kriegsführung
“Wenn man in einer interkulturellen Beziehung ist,” stellt Deniz gleich zu Beginn klar, “kommen Stereotypisierungen und Vorurteile gegenüber der anderen Kultur eigentlich eher von außen.” Deniz hat Julia während ihres Erasmussemesters in Istanbul 2012 kennengelernt. Für viele seiner Freunde war sie zuerst “das deutsche Mädel”. Vielleicht hielt einer von Deniz‘ Freunden sie deshalb am Anfang für eine Kriegsführungs- und Waffenexpertin des zweiten Weltkriegs…
Auch in Julias Umfeld gab es Vorurteile. Als ihre Eltern Deniz das erste Mal getroffen haben, haben sie sich darüber gewundert, wie “modern” er war. Und Arbeitskollegen stellten Julia die berühmt-berüchtigte Kopftuchfrage: Muss sie sich zu Hause verhüllen?
Für Deniz und Julia selbst ist der kulturelle Unterschied nicht der Hauptfokus ihrer Beziehung. Es ist vielmehr ein Aspekt dessen, was die andere Person geprägt hat. Und natürlich ein Aspekt, über den man selbst nicht so viel weiß. Dinge, die für den einen selbstverständlich sind, sind für den anderen Neuland. Deshalb ist gegenseitige Verständnis und offenes Kommunikationsverhalten sehr wichtig. “Eigentlich überlege ich ständig, bei allem was geschieht: wie versteht Julia diese Situation jetzt, was ist ihre Perspektive auf das, was passiert?”, sagt Deniz. Julia erwähnt noch einen weiteren Punkt: “Wir sind uns natürlich durch die Sprachbarriere darüber bewusst, dass der andere etwas falsch verstehen könnte. Deshalb ist es besonders wichtig, sich explizit auszudrücken.” Kommunikation und Austausch nehmen die beiden also bedachter wahr und lernen sich dadurch vielleicht bewusster und genauer kennen als ein Paar, das von einer ähnlichen kulturellen Prägung ausgeht. “Und der Gesprächsstoff geht natürlich auch nicht so schnell aus”, sagt Julia und lacht.
Brechen mit kulturellen Beziehungsmustern
Eben dieses Entdecken der Kultur des anderen kann einer solchen Beziehung mehr Freiraum ermöglichen, da traditionelle kulturelle Regeln analysiert und automatisch hinterfragt werden. “In der türkischen und der deutschen Kultur gibt es kulturelle Codes, die sich durch die Tradition gebildet haben. Regeln, wie Männer und Frauen zu sein haben. Und damit auch, wie eine Beziehung zu funktionieren hat,” erzählt Gürgen. 2012 war er für drei Monate in Berlin, um an einem Buch zu schreiben. Dort traf er Emily. Und lud sie auf ein Treffen in einen Park ein. “In der Türkei wäre der Park traditionell wohl eher ein uncooler Ort für das erste Date. Aber mit Emily war es einfach schön,” erzählt er. Die beiden konnten sie selbst sein ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, was Standard war. Den gab es nämlich nicht. Sie mussten und konnten ihn selbst setzen.
“Wir reden sehr viel darüber, welche Kultur welche Aspekte hat und was für uns passt”, sagt Emily. Die beiden können sich Aspekte der jeweiligen Kultur zu eigen machen, die zu ihnen passen. Eine Verdoppelung der Optionen quasi.
Auch sprachlich können viel mehr Register gezogen werden. Julia und Deniz begannen ihre Beziehung englischsprechend. Inzwischen ist es hauptsächlich türkisch. Doch die ersten deutschen Worte kommen langsam dazu. Aber Julia findet: “Türkisch ist die beste Liebessprache. Schon im Bezug auf die Anzahl der Kosenamen: Canım, Aşkım, Sevgilim, Hayatım, Birtanem, um nur ein paar zu nennen.” Für jede Situation gibt es das richtige Liebeswort. Die Sprache an sich ist wärmer und näher am Herzen, finden die beiden. Deutsch klingt hölzerner, distanzierter. Praktisch, wenn man mehrere Möglichkeiten hat.
Suche nach einem Zuhause
Doch mit den Möglichkeiten vermehren sich die Entscheidungsfragen. Was wohl immer wieder aufkommt, ist der Ort, an dem beide leben wollen. Als Julia nach ihrem Erasmussemester wieder nach Deutschland zurückkehrte, hatten Deniz und sie für eineinhalb Jahre eine Fernbeziehung. Dann fand Julia Arbeit als Psychologin in Salzburg und Deniz entschied sich dafür, seinen Job als Softwarenetwickler aufzugeben und einen Master in Augsburg anzufangen. Die Kilometerzahl der Distanz verringerte sich dadurch erheblich. Die täglichen Herausforderungen stiegen. “Die Behördengänge, die wir zu erledigen haben, sind unglaublich”, erzählt Julia. Und dann sind da natürlich die alltäglichen Herausforderungen. Deniz begann Deutsch zu lernen. “In meinem Deutschkurs sind außer mir nur Flüchtlinge. Und oft werde ich für einen Flüchtling gehalten. Inzwischen fühle ich mich fast schon so”, erzählt Deniz. Und Julia fügt hinzu: “Leider sind die Leute auch nicht so enthusiastisch, darüber, dass jemand Deutsch lernt. Als ich in der Türkei war, hat man mich für jedes Wort gelobt, das ich gelernt habe.” Emily, die sich entschieden hat, nach Istanbul zu Gürgen zu ziehen, bestätigt diese Beobachtung: “Die Leute sind sehr gastfreundlich. Sie kommen mir entgegen und unterstützen alle meine Bemühungen, die Sprache und Kultur kennen zu lernen.” Trotzdem wird Emily Istanbul manchmal zu viel. Der Rummel, die Menschen, die Ansprüche. Dann hilft nur eins: die Koffer packen. Die beiden haben eine “Travelbox”, eine Art Sparschwein, in die sie investieren. Und alle drei Monate geht es dann irgendwohin. Raus aus Istanbul. “Die Stadt ist bloß unsere Basis”, sagt Gürgen. “Zuhause sind wir überall.” “Zuhause, das bedeutet für mich mit Gürgen zusammen zu sein, egal wo auf der Welt das ist“, sagt Emily.
Bei Franz und Tümay ist das anders: Sie haben sich Istanbul zu ihrem Zuhause gemacht. Franz kam 2007 als Erasmusstudent nach Istanbul. Er brach das Studium ab und gründete eine eigene Firma, die Videos produziert. Seit zwei Jahren ist er mit Tümay zusammen. Nach Deutschland wollen sie nicht. Natürlich gibt es bei den beiden auch Überlegungen, die Türkei zu verlassen, je nachdem, wie sich die politische Lage entwickelt. Doch im Moment ist es ihr Zuhause. “Deutschland hat natürlich Vorteile. Man hat ein leichtes Leben und komplette Absicherung. Aber daraus folgt auch eine bestimmte Naivität bezüglich des Lebens. Hier in Istanbul fühle ich mich näher an der Realität des Lebens”, sagt Franz. “Ja, Deutschland ist „- laylaylom-“- pillepalle”, stimmt Tümay zu.
Fremd fühlt sich Franz in Istanbul trotzdem manchmal. Mit seinen blonden Haaren fällt er in der Türkei auf. Und dann gibt es da zum Beispiel die Momente, in denen Tümay sein Türkisch verbessert. “Natürlich ist das hilfreich”, sagt er. Aber es macht die sprachliche Distanz wieder bewusst.
Mit dem Herzen sieht man gut
Sprachliche Barrieren gibt es natürlich vermehrt bei Familie und Verwandten. Aber Hände und Herzlichkeit helfen da weiter. “Meine Mutter bekocht Emily immer. Anfangs fand sie Emily zu dünn,” erzählt Gürgen lachend, “Und hat sie bekocht. Aber das ist die türkische Art, Liebe auszudrücken.” Jetzt ist Gürgens Mutter zufriedener mit Emilys Gewicht. Sie schickt aber trotzdem wöchentliche Essensportionen. Franz’ Eltern lernen inzwischen von Deutschland aus türkisch. Auch im Radio läuft bei ihnen schon ein türkischer Sender.
Solche Gesten sprechen Bände. Sie brechen aktiv jegliche vorschnell gefällten Urteile gegenüber einer anderen Kultur auf. Und machen die Menschen dahinter sichtbar. Dies geschieht in jeder wahren Beziehung jeglicher Art. Letztendlich sind es Menschen, die Schritte aufeinander zumachen. Und einander wahrhaftig kennenlernen. Am Ende entscheidet nicht der kulturelle Unterschied sondern das Herz. “Wir sind nicht der Türke und die Deutsche, die zusammen sind,“ sagt Gürgen. “Wir sind zwei Individuen, die einander als Menschen begegnen. Mit allem drum und dran.”
Text: Marie Hartlieb
Bilder: Emily Mahringer
Redaktion: Franziska Müller