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Warum der “Secret Spot” in Istanbul gar nicht geheim ist

Facebook ist schuld. Und James Bond. Und Til Schweiger. Aber vor allem Facebook. Denn dort sehe ich zum ersten Mal den sogenannten „Secret Spot“ mit der kleinen schwarzen Kuppel. Im Hintergrund ist das perfekte Panorama Istanbuls zu sehen. Europa, Bosporus, Asien. Auf der Kuppel sitzt Daria. Es ist ihr Profilbild bei Facebook.

Genau wie ich macht Daria ein Auslandssemester in Istanbul. Sie ist bereits ein halbes Jahr hier, deshalb hat sie selbstverständlich schon ein Profilbild aus Istanbul. „Wo ist denn diese Kuppel?“, frage ich sie. Sie muss lachen. „Das ist der Secret Spot“, meint sie. „Secret Spot“ klingt schon einmal super, denke ich. Schließlich habe ich wie jeder andere Erasmusstudierende den Anspruch, nicht nur die klassischen Ecken Istanbuls kennenzulernen, sondern auch geheime Orte der Locals zu entdecken. Wenn es dort dann noch einen solchen Ausblick gibt: umso besser. Vor langer Zeit war der „Secret Spot“ wohl noch wirklich „secret“, erzählt Daria. Mittlerweile sei der Ort, auch als „Büyük Valide Han“ bekannt, ein offenes Geheimnis unter Erasmusstudierenden und werde von Generation zu Generation weitergegeben. Jeder mache hier sein Facebook-Profilbild. Und auf Instagram könne man der Kuppel auch nicht entgehen.

Wie wenig geheim dieser Ort eigentlich ist, zeigt auch, dass er der Lieblings-Drehort für Stunts in Actionfilmen ist. Im James-Bond-Film „Skyfall“ verfolgt Daniel Craig einen Verbrecher durch die engen Gassen der Altstadt von Istanbul und dann die steinernen Treppen hoch zum Secret Spot. Die beiden landen jedoch nicht neben der schwarzen Kuppel, sondern direkt auf dem Dach des Grand Bazars. Das geht vermutlich als künstlerische Freiheit durch. Und nicht nur Hollywoods Filmschaffende haben das Dach schon für sich entdeckt: In seinem Kino-Tatort „Tschiller: Off Duty“ rennt Til Schweiger am „Secret Spot“ hinter einem Verbrecher her. Und spätestens wenn der Til da sitzt, dann ist ein Ort endgültig im Mainstream angekommen.

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Okay, geheim ist der „Secret Spot“ also nicht mehr. Trotzdem: Als echter Erasmusstudent muss ich da natürlich hin.

Von Eminönü laufe ich die engen Straßen im Basarviertel aufwärts. Irgendwann soll rechts „ein großes steinernes Tor“ mit dem Schriftzug „Büyük Valide Han“ kommen. Das hat mir Daria gesagt. Gefunden. Nun soll ich die erste Treppe hochlaufen. Rechts oder links, das habe ich vergessen. Ich gehe rechts hoch und platze auf einmal ins das Wohnzimmer einer türkischen Familie, die dort gerade eine Suppe löffelt. Die Familie ist von meinem Eintreffen gar nicht verwundert, sondern zeigt mir, dass ich wohl besser die erste Treppe links nehmen sollte. Ich bin wohl nicht der erste verwirrte Erasmusstudent, der beim Mittagessen gestört hat.

Ich gehe nun die Treppe links hoch und laufe durch einen steinernen Gang, an deren Seite kleine Werkstätten zu sehen sind. „Merhaba“, sage ich zu einem älteren Türken, der an einer Wasserpfeife bastelt. „To the boss?“, fragt er und zeigt dann nach rechts. Zum Boss? Ich wollte doch zu diesem „Secret Spot“. Trotzdem folge ich seiner Anweisung. Am Ende des Gangs ist ein Holztor, vor dem ein Mann steht. „The boss?“, frage ich. Ich schätze ihn auf sechzig bis siebzig Jahre, er ist etwa 1,60 Meter groß, seine weißen Haare sind strähnig nach hinten gekämmt. Er trägt einen feinen blauen Anzug über seinem Hemd. Auf dem Kopf sitzt eine blaue Kappe. „Bir lira“, sagt er und streckt die Hand aus. Ich gebe ihm eine Lira, steige noch eine Treppe hoch und bin schließlich da: Auf dem „Secret Spot“. Es fühlt sich an, als wäre ich schon einmal hier gewesen, so oft wie ich den Ort schon auf Facebook gesehen habe. Am Ende des Dachs sehe ich die schwarze Kuppel. Von hier versperrt kein anderes Gebäude den Blick. Die Galatabrücke, der Galataturm, das Goldene Horn, der Bosporus, die Bosporusbrücke, die Neue Moschee und die asiatische Küste bilden eine wunderschöne Einheit. Die Sonne scheint, das Wasser Istanbuls glitzert. Und genau jetzt erklingen die Rufe der Muezzins, die man hier oben von drei verschiedenen Moscheen wahrnimmt. Schöner geht es wohl nicht. Wie ich da so stehe, finde ich, dass der Ort absolut die Berechtigung hat, für noch so viele Facebook-Profilbilder als Kulisse zu dienen. So kommt es dann auch: Einen Monat später haben alle meine Erasmusfreunde ihr Profilbild bei Facebook geändert. Franziska aus Deutschland springt auf der Kuppel in die Luft, Rima aus Frankreich sitzt mit dem Rücken zur Kamera und blickt in die Ferne, Daniele aus Italien posiert mit ausgestreckten Armen. Das Datum der Profilbilder liegt jeweils im Frühjahr 2015. Mittlerweile ist das ein Jahr her.

Und nun fliege ich wieder nach Istanbul. Gemeinsam mit meinem Mitbewohner aus Hannover. Und natürlich gehört auch ein Besuch des berühmten „Secret Spots“ dazu. Also laufe ich wieder in die enge Gasse der Altstadt hinein, durch das bekannte steinerne Tor, die ungeraden Treppenstufen hinauf, auf denen man beinahe hinfällt, vorbei an den kleinen Werkräumen bis zum Holztor. Vertrautes Gemäuer. Früher war hier kein Mensch, jetzt stehen fünfzehn Leute in einer Schlange vor dem Tor. Sie alle wollen auf den „Secret Spot“. Nach fünf Minuten Warten stehen wir vor dem Boss. Seinen feinen blauen Anzug trägt er nicht mehr. Eine Kappe auch nicht. Stattdessen hat er eine schwarze Jacke an. Auf der steht in schweren Leuchtbuchstaben „Özel Güvenlik“. Das heißt auf Deutsch Sicherheitsdienst.

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Text: Laurenz Schreiner
Header: Bill Liederwald
Video: Sean Lovelace

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