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Nimm doch noch ein Dolma

Der Film "Annem" übers Muttersein

Corona-Zeit ist Netflix-Zeit und auch in Sachen türkische Filme hat die Streaming-Plattform aufgestockt. So gibt es jetzt auch „Annem“ (auf Deutsch „Meine Mutter“) zu sehen – ein Drama um Nazlı, die aus der Enge ihres Dorfes flüchtet, um in Istanbul ihr Glück zu suchen. 

Studium, reicher Mann in dickem Auto, garstige Schwiegermutter. So weit, so klassisch. Doch „Annem“ konzentriert sich statt auf Nazlı mehr auf die Figur ihrer Mutter Ayşe, die im besten Sinne um ihre Tochter herum helikoptert. Sie will Nazlı mehr bieten, als sie selbst hatte – mehr Dolma, mehr Ausbildung, mehr Wohlstand, einen Rückzugsort. Dieser Ayşe schwillt manchmal die Brust vor Stolz auf ihr einziges Kind, zu genau weiß sie aber auch um die Fragilität ihrer Beziehung. Alles würde sie hergeben, um ihre Tochter glücklich zu machen, selbst ihre Würde.

Eindrucksvoll fängt Schauspielerin Sumru Yavrucuk all die Stimmungen dieser aufopferungsvollen, bauernschlauen Mutter ein; sie lacht, weint und beißt die Zähne zusammen für ihr Kind. Vielleicht liegt es daran, dass Yavrucuk seit fast 40 Jahren auf der Bühne des İstanbul Devlet Tiyatrosu steht, dass man ihr das ganze Spektrum auch wirklich abnimmt. Etwas farblos bleibt daneben Özge Gürel als Nazlı, die wenig eigene Spuren hinterlässt. Für den Soundtrack hat Sängerin Candan Erçetin, die 1986 die Türkei beim Eurovision Song Contest vertrat, nach 20 Jahren ihr Lied „Annem“ noch einmal neu aufgenommen.

Der gleichnamige Film ist eine Geschichte über Mutterliebe, schmerzhafte Verluste und darüber, wie sich Beziehungen zwischen Kindern und Eltern immer wieder wandeln können. Grundsätzlich orientiert sich die Story an der klassischen Aschenputtel-Struktur, wie sie in türkischen Filmen und Serien oft vorkommt. Ähnlich typisch sind die Schicksalsschläge, die  sich auch in „Annem“ quasi stapeln. Tränenreiche Abschiede am Bahnhof und viele Geigen sind da vorprogrammiert; man sieht die in den Kinos und auf den Couches verbrauchten Taschentuchberge förmlich vor sich. „Annem“ geht aber über die bloße Illustration des Statements, das Kind solle es doch mal besser haben als man selbst, hinaus und weist auf viele andere Aspekte des Mutterseins hin.

Natürlich kann man angesichts des Films hinterfragen, ob permanentes Behüten oder Empowerment zur Selbstständigkeit die tauglichere Erziehungsmaximen für Kinder ist. Man könnte Familienbilder diskutieren, wenn Nazlı ihrem handgreiflichen Vater mir-nichts-dir-nichts verzeiht und in ihre eigene Bilderbuchbeziehung eintaucht. Man könnte – mal wieder – Geschlechterrollen analysieren und die Ansprüche an Mütter überdenken. Das alles macht Mustafa Kotans Film nicht, will er aber auch nicht.

„Annem“ will als türkisches Drama in verträglicher Länge von anderthalb Stunden unterhalten und pendelt dabei zwischen bewegend und stereotyp hin und her. Ein guter Film für alle, die einen Grund suchen, ihre eigene Mutter mal wieder anzurufen. Sie freut sich.

Text: Theresa Wiedemann

Foto: IMDb

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Rough und gleichzeitig verletzlich