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Per App pünktlich zu Türkisch Rock und Bağlama in NRW

Bülent Fırat ist Lokaljournalist in Nordrhein-Westfalen. Auf seine Idee hin wurde die App DakikNRW entwickelt, die den Nutzer durch die deutsch-türkische Kunst- und Kulturszene in Nordrhein-Westfalen führt (von dakik= „pünktlich“).

Obwohl innerhalb der türkischen Gemeinschaft Deutschlands viele Konzerte mit lokalen und nationalen Größen gefeiert werden, türkische Halay- und Pop-Partys stattfinden oder Autoren und Theatergruppen aus der Türkei eingeflogen werden, gehen türkische Veranstaltungen innerhalb der breiten deutschen Kulturlandschaft oft unter und gestalten sich so eher als Randveranstaltungen. DakikNRW zeigt, wo in NRW die nächste türkische Party oder Lesung stattfindet. Bereits 15.000 Mal wurde die App heruntergeladen, und das „bei maximal einer Million türkischstämmiger Menschen in NRW“. Wir haben uns mit dem deutsch-türkischen Kulturspezialisten unterhalten.

Bülent, wie bist du eigentlich zum deutsch-türkischen Kulturjournalisten geworden?

Ehrlich gesagt war ich nie einer dieser „Ich wollte schon immer Journalist werden“- Leute. Ich habe Kommunikationswissenschaften studiert und über das Studium bin ich dann mehr oder weniger zufällig in die journalistische Schiene hineingerutscht. Unter anderem habe ich bei Antenne Ruhr ein Praktikum gemacht, sowie für den WDR und den Kölner Express gearbeitet. Sobald es um Themen mit türkischem Hintergrund ging, hieß es: „Bülent, hier ist wieder was für dich!“, also musste ich bei solchen Artikeln ran. Das habe ich aber sehr gern gemacht, da ich mit Leuten zu tun hatte, die ich vielleicht besser einschätzen konnte, als meine Kollegen und mit denen ich mich selbst auch identifizieren konnte. Dadurch hat sich mein Netzwerk in der deutsch-türkischen Community enorm erweitert. Später habe ich dann bei den deutsch-türkischen Print- und Onlinemedien Türkis, Vaybee und Dünya Deutschland mitgearbeitet und zum Teil die Redaktionen selbst mitaufgebaut. Anfang 2000 habe ich Detay Magazin, mein erstes eigenes deutsch-türkisches Printmagazin, herausgegeben.

DakikNRW ist eine App, die ausschließlich auf deutsch-türkische oder türkische Veranstaltungen in Deutschland abzielt. Viele kritisieren, dass sich die türkischen Gemeinden zu einer Art „Parallelgesellschaft“ entwickelt haben. Trägt die App nicht eher dazu bei und sollten türkische oder türkischstämmige Bürger in Deutschland nicht lieber an deutschen Veranstaltungen teilnehmen?

Ich bin nicht der Meinung, dass es die türkischstämmigen Bürger weiter isoliert. Diese Parallelgesellschaft gibt es, das bestreite ich nicht. Allerdings finden die Veranstaltungen sowieso statt, und die App fungiert nur als „Vermittler“. Türkischsprachige Events sind eine Bereicherung für die kulturelle Szene Deutschlands und wenn man sich den großen Anteil der türkischstämmigen Bürger in der Bevölkerung ansieht, sollte man meinen, solche Events sollten auch fester Bestandteil der Kulturveranstaltungen in Deutschland sein. Deutschland ist bunt, und das muss sich auch in der Kulturlandschaft zeigen. Warum sollte man die Leute nicht bedienen, die lieber Saz und Bağlama hören, anstatt US-amerikanische Charts? In Mülheim an der Ruhr zu Beispiel, wo ich aufgewachsen bin, findet schon seit Ewigkeiten jedes Jahr die Konzert- und Theaterreihe „Szene Istanbul“ statt, bei der ausschließlich Gruppen aus Istanbul eingeladen werden. Viele Leute wussten das gar nicht. Die App ist ein Mittel dieses kulturelle Leben an Interessierte weiterzuvermitteln.

Momentan „vermittelt“ DakikNRW ja nur Veranstaltungen aus dem Raum NRW. Wie sieht es mit der Zukunft der App aus?

Das Hauptziel wäre schon, die App bundesweit zu vertreiben, aber ich bleibe erstmal realistisch. Ich bin gebürtiger Mülheimer und wohne in Nordrhein-Westfalen. Deshalb habe ich hier mein Netzwerk und kenne mich dementsprechend aus. Ich weiß, wo was stattfindet und habe leicht Zugang zu Veranstaltern. Das habe ich natürlich in Stuttgart nicht, in Frankfurt nicht und nicht in München. Die App lebt ja davon, ständig aktualisiert zu werden, und das ist mir in der jetzigen Konstellation nur in NRW möglich. Möchte ich die App bundesweit vertreiben, bräuchte ich mehrere Leute, die täglich am Rechner sitzen und durch die Gegend telefonieren. Wir sind allerdings auf dem besten Weg dahin.

Wird die App denn auch von nicht-türkischstämmigen Deutschen angenommen?

Ehrlich gesagt sind es momentan noch überwiegend türkischstämmige Bürger, die die App benutzen. Sicher gibt es auch den ein oder anderen Deutschen, der aus Interesse einmal hineinschaut, allerdings eher selten, denke ich.

Heutzutage treffen wir auf immer mehr türkischstämmige Menschen, die in der deutschen Kulturszene aktiv werden und sich auch kritisch mit ihrer Herkunft und Vorurteilen auseinandersetzen. Was ist deiner Meinung nach der Hauptgrund dafür?

Ich denke, unsere Generation ist der Überzeugung, dass wir den Klischees über die türkische Kultur, die in der deutschen Gesellschaft teilweise leider immer noch herrschen, nicht mehr entsprechen. Wir sind nicht mehr wie die Generation unserer Eltern und Großeltern, die aus ihrer Kultur gerissen wurden und sich dadurch vielleicht anders verhalten haben. Das Wort „Gastarbeiter“ ist schon vollkommen überholt. Wir sind längst in der deutschen Gesellschaft angekommen. Wir pflegen ein westliches Erscheinungsbild und setzen uns trotzdem mit unseren Wurzeln auseinander – was auch wichtig ist. Du glaubst gar nicht, wie viele junge Leute man auf traditionellen türkischen Festen trifft! Du denkst, es ist eine Ansammlung von ein paar älteren Leuten, die ein bisschen Bock auf Halay-Musik haben, aber tatsächlich sind es sogar überwiegend junge Leute. Ich frage mich selbst immer wieder: Woher kommt das? Vielleicht wollen sie signalisieren: Ich bin modern, ich bin deutsch, aber ich bin auch türkisch, und die Kultur meiner Eltern und Großeltern halte ich aufrecht, obwohl ich irgendwie dazwischensitze. Die eigene Kultur wird trotz einer guten Integration noch aufrechterhalten. Und das funktioniert!

Meinst du also, die Parallelgesellschaft, von der wir gesprochen haben, existiert doch nicht?

Sie verläuft sich zumindest, dünnt aus. Bei der Mehrheit jedenfalls. Es gibt sicherlich auch einige, überwiegend Ältere, die die Parallelgesellschaft aufrechterhalten, sich aber auch in ihr wohlfühlen und gar nichts anderes mehr brauchen. Ich halte diese Gruppe allerdings für eher klein. Die Mehrheit kann sich davon schon loslösen und ihren gemischten Hintergrund positiv für sich nutzen.

Als „Deutschtürke“ muss man sich ja zwangsweise immer wieder mit seiner Identität auseinandersetzen. Oft fühlt man sich weder komplett Deutschland, noch komplett der Türkei zugehörig.

Ja, das stimmt schon. Man wird immer, je nachdem wo man ist, in die jeweils andere Ecke „gedrängt“. Ich hatte dir ja schon das Beispiel aus meiner Berufslaufbahn genannt, dass ich nämlich automatisch immer für deutsch-türkische Themen verantwortlich war. Andererseits wirst du, wenn du in der Türkei bist, oft als „Deutschländer“ betrachtet. Ganz ehrlich: Ich finde, man sollte aufhören, das alles so negativ zu sehen. Ich persönlich habe dem bisher nur etwas Positives abgewinnen können und es als Bereicherung gesehen. Zumindest in Deutschland kann ich meiner Erfahrung nach sagen, dass man seinen sogenannten „Migrationshintergrund“- oder Vordergrund- vorteilhaft betrachten und nutzen kann.

Text: Yasemin Bodur

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