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Realität und Virtualität. Istanbul im Fokus der Überwachungskameras

Auf dem Taksimplatz, in der Metrostation oder im Dönerladen an der Straßenecke: Überwachungskameras sind in Istanbul überall. Sogar im Café ist es Normalität, dass einen nicht nur menschliche Augenpaare mit Blicken streifen. In der Ecke rechts oben ist die kleine weiße Kamera immer präsent. Welche Bilder dabei entstehen, ist in der neuen App „Recontact Istanbul“ zu sehen. Bei diesem Spiel sieht man leicht verpixelte Videoaufnahmen von bekannten Plätzen in Istanbul und erhält dazu eine Personenbeschreibung. Ziel ist es, in kurzer Zeit die verdächtige Person in der Menschenmenge zu finden, um das nächste Level zu erreichen. Auf dem Vorplatz der Yeni Cami in Eminönü muss man zum Beispiel einen Mann mit Sonnenbrille und grauem Shirt zwischen den Simitständen suchen. Spielerisch nähert man sich so dem Thema der digitalen Überwachung in Istanbul.

Der türkische Videokünstler und Regisseur Eray Dinç hat „Recontact Istanbul“ entwickelt. Im Interview mit MAVIBLAU spricht er über…

… die Idee hinter der App:

„Ich bin Regisseur und stelle bei meinen Filmen immer die Videoüberwachung in den Mittelpunkt. Außerdem bin ich ein „hardcore gamer“ und wollte schon immer die Dynamiken von Videokunst und Videospiel verbinden. Deshalb habe ich vor drei Monaten begonnen, „Recontact Istanbul“ zu entwickeln.“

die Videoaufnahmen:

„Wir haben keine echten Überwacherungskameras genutzt, ich habe alle Videos selber mit meiner Kamera aufgenommen. „Recontact Istanbul“ ist eine Fiktion, Istanbul ist der Hintergrund. Die Aufnahmen habe ich an öffentlichen Orten ohne Voranmeldung gemacht. Personen oder Fahrzeuge sind aber unkenntlich gemacht, sodass das Recht auf Privatsphäre nirgends verletzt wird.“

… seine Aussageabsicht:

„Wir werden immer überwacht. Wir können dieser Situation nicht entkommen. Wir haben keine Privatsphäre mehr. Und dieses chaotische Gefühl ist beim Spielen der App zu spüren.“

… die Notwendigkeit der totalen Überwachung:

„Die digitale Überwachung verhindert normalerweise keine kriminellen Taten. Vielmehr hilft sie, angebliche Verdächtige zu identifizieren. Aber wenn wir von Kameras überwacht werden, fühlen wir uns instinktiv sicher. Instinktiv, weil wir nicht interessiert daran sind, Kriminalität zu verhindern, sondern sie anzusehen. Seit Beginn der Menschheit wollen Menschen gerne kriminelle Taten sehen. Ich nenne das den „Überwachungsfetisch“. In meiner App sind aber keine Straftaten zu sehen, es ist nichts für digitale Voyeure.“

Am 4. September wird „Recontact Istanbul“ Teil der nächtlichen Videokunst-Ausstellung „Bring Your Own Beamer“ im Pera Museum sein. In Zusammenarbeit mit „Moving Image“ wird die App die Frage stellen: „In a recorded city, are you the only one watching or being watched?“ Es wird auch die Möglichkeit geben, die App dort zu testen. Wer es nicht dorthin schafft, kann sich „Recontact Istanbul“ schon jetzt im Appstore kaufen (0,99€).

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Text: Laurenz Schreiner

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