„Die Hälfte der Landesbevölkerung in einem Staat möchte ich nicht in eine Schublade stecken – da ist schon der erste Fehler. Frauen beider Länder sind vielschichtig und facettenreich.“, antwortete Münchens ehemaliger Bürgermeister Christian Ude hitzig auf meine Frage, wie sich denn deutsche Frauen von türkischen unterscheiden würden. Als erfahrener Türkeireisender und Berater des Bürgermeisters des Istanbuler Stadtteils Maltepe kann er mir bei dieser Frage weiterhelfen, dachte ich. Wirklich zufrieden war ich mit der Antwort allerdings nicht. Sie kam mir eher zu politisch korrekt ausgedrückt vor, aber was erwartete ich auch von einem alteingesessenen Politiker. Irgendeinen Unterschied müsste es doch zwischen deutschen und türkischen Frauen geben, dachte ich vorurteilsbeladen. Ich persönlich bin ein Mensch, der gerne Vorurteile hat, nur um mich dann eines Besseren belehren zu lassen. Also begab ich mich auf eine Recherchereise durch die Geschichte deutscher und türkischer Frauen in unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen mit der Frage: Gibt es sie nicht doch, die Unterschiede?
Frauen in der Medizin: Von Istanbul nach Würzburg, um Ärztin zu werden
Ein Blick in mein Telefonbuch in meinem Smartphone zeigt, dass ich ausschließlich zu Ärztinnen gehe. Gewechselt habe ich selten, denn sie machen alle einen fantastischen Job. Doch es war nicht immer selbstverständlich, dass Frauen Ärztin werden konnten. So musste beispielsweise Safiye Ali Anfang des 20. Jahrhunderts nach ihrem Abitur in Istanbul nach Deutschland ziehen, um in Würzburg und Berlin Medizin zu studieren. Im damaligen Osmanischen Reich war das Frauen untersagt. Sie spezialisierte sich in Gynäkologie und Kinderheilkunde, um später mit ihrem Mann, Ferdinand Krekeler, in Istanbul eine Praxis zu eröffnen. Sie schrieb zwei Bücher und zahlreiche Artikel über Kinderkrankheiten in Zeitungen und engagierte sich für die Bildung von Mädchen.
Dorothea Christiane Erxleben aus Quedlinburg in Sachsen-Anhalt ging es da im 18. Jahrhundert nicht anders. Sie zeigte schon sehr früh Interesse an naturwissenschaftlichen Studien und galt als begabtes Mädchen. Getrieben von ihrem Vater und Bruder, die ebenfalls Mediziner waren, wollte auch Erxleben ein Medizinstudium aufnehmen. Der Zugang zu einer Universität blieb ihr allerdings verwehrt, sodass sie sich erst an Friedrich den Großen wenden musste, der es ihr schließlich genehmigte. Die Promotion als Ärztin ließ allerdings lange auf sich warten, da Erxleben sich zunächst als Hausfrau um die Erziehung ihrer Kinder kümmern musste. Nichtsdestotrotz schloss sie ihr Studium mit großem Erfolg ab und praktizierte Zeit ihres Lebens als Ärztin.
Recht und Gerechtigkeit: Für Gleichstellung im Gesetz
Für Recht und Gerechtigkeit setzte sich die in Syrien geborene Ulviye Mevlan ein. Sie ist tscherkessischer Herkunft und war eine der ersten Frauenrechtlerinnen im Osmanischen Reich. Mevlan war Gründerin und leitende Redakteurin der Zeitschrift „Kadınlar Dünyası“ (Die Welt der Frauen), einer „feministisch“ bezeichneten Frauenzeitschrift ausschließlich von und für Frauen, in der sie Frauen mit Rechtsproblemen half. 1913 gründete sie außerdem den „Verein zum Schutz der Frauenrechte“ (Müdafaa-i Hukuk-u Nisvan Cemiyeti). Auch die deutsche Juristin Elisabeth Selbert war eine bedeutende Rechtsfigur. Als eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ war Selbert mit der Aufnahme der Gleichberechtigung in den Grundrechteteil der bundesdeutschen Verfassung von großem Einfluss und immenser Bedeutung. An der Universität Marburg war sie zu ihrer Zeit die einzige Rechts- und Staatswissenschaftlerin und schloss nach nur sechs Semestern ihr Studium mit Auszeichnung ab. Nach mehreren gescheiterten Abstimmungen konnte Selbert den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ durchsetzen, der aber erst 1957 als Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet werden konnte.
Politisch korrekt: Von der Bäuerin zur Bürgermeisterin
Erst mit der Gründung der Republik Türkei 1923 durften auch Frauen in der Politik mitmischen. So auch Satı (Hatı) Çırpan, die erste Bürgermeisterin der Türkei. Entgegen dem was man annehmen könnte, war Çırpan eine einfache Bäuerin. 1933 wurde sie zunächst als Bürgermeisterin in ihrem Dorf Kazan (bei Ankara) gewählt und 1935 zog als eine der ersten 17 Politikerinnen in das türkische Parlament ein.
Auf deutscher Seite leistete Hedwig Dransfeld als eine der ersten Frauen in der Politik Erstaunliches. Dransfeld war römischkatholisch und verlor aufgrund einer Knochentuberkulose den linken Arm und eine Ferse. Anfang 1908 begann sie ihr Studium in Kulturwissenschaften, schrieb Beiträge für die Zeitschrift „Die christliche Frau“ und wurde zunehmend zu einer Aktivistin der katholischen Frauenbewegung. 1920 zog Dransfeld schließlich als Zentralabgeordnete in den Reichstag ein.
„Ich bin eine Arbeiterin“
Zehra Kosova Durmaz, eine Arbeiterin in Tabakfabriken, ist die erste Frau in der Türkei, die in einer Gewerkschaft in einer führenden Rolle aktiv war. 1933 wurde sie Mitglied der Kommunistischen Partei und studierte in Moskau an der Kommunistischen Universität der Ostvölker. Erst 1996 erschien ihr Buch „Ben Işçiyim“ (übersetzt: „Ich bin eine Arbeiterin“).
Auch Emma Ihrer setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts durch ihren Verein „Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen“ für die Rechte der Arbeiterklasse ein. Sie gründete Zeit ihres Lebens unterschiedliche Zeitschriften, in denen sie sozialistisch-feministische Texte veröffentlichte und so wie ihre türkische Genossin Zehra Kosova Durmaz im ständigen Konflikt mit der Polizei lebte.
Das Recht der Frau: Feministinnen in Deutschland und der Türkei
Sabiha Sertel Zekeriya entstammt einer sogenannten „Dönme-Gemeinde“, einer Gruppe aus Juden, die im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben wurden und im 17. Jahrhundert im Osmanischen Reich zum Islam konvertierten. Weil es zu ihrer Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts keine Bildungsmöglichkeiten für Mädchen gab, gründete Sabiha Sertel Zekeriya mit ihren Freundinnen einen „Bildungsverein“ (Tahsil Cemaati). Auf diesem Weg wurde sie Journalistin und veröffentlichte besonders während des Zweiten Weltkriegs sozialistische Beiträge gegen Faschismus und Militarismus. Sie war eine bedeutsame Feministin.
Als solche kann man auch die Berlinerin Alice Salomon zählen, die um die Jahrhundertwende als liberale Sozialreformerin eine wichtige Rolle in der deutschen Frauenbewegung innehatte. Mit 21 Jahren wurde sie Mitglied der „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ und setzte sich für Bildungseinrichtungen für Mädchen ein. 1914 trat sie vom Judentum zum christlichen Glauben evangelischer Konfession über und vertrat eine christlich-humanistische Weltanschauung.
Unterschiede hin oder her: Der Kampf für Frauenrechte ist beiderorts ähnlich
Stundenlage Recherche und seitenlanges Material ließen mich meinem Wunsch, eine klare Trennung zwischen deutschen und der türkischen Frauen mit Hinblick auf die Geschichte aufzuzeigen, nicht näher kommen. Das Osmanische Reich, die Weimarer Republik, die Republik Türkei oder sogar zu Zeiten des Nationalsozialismus ließen sich weder türkische noch deutsche Frauen ihrer Rechte zur Gleichheit und Bildung nehmen und zwar gleich welcher Glaubensrichtung sie angehörten. Ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich die damaligen Themen und Vorgehensweisen hinsichtlich Bildungsinitiativen, Journalismus oder einem gewerkschaftlichen Engagement kaum von den heutigen zu unterscheiden scheinen. Meine Nachforschung verdeutlicht mir vielmehr, dass die Divergenz zwischen deutschen und türkischen Frauen hauptsächlich geographischer Natur ist und die Frauen bis heute in ihrer mannigfaltigen Diversität ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt sind und für die gleichen Rechte kämpfen. Also beende ich ein wenig frustriert meine Recherche und muss bezüglich meines Schubladendenkens Herrn Christian Ude doch Recht geben.
Text: Sevda Arican
Illustrationen: Seda Demiriz