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Das Universum, Bordelle und Mutter Courage. Auf einen Çay mit Turgay Doğan

„Theater kann man riechen“, sagt Turgay Doğan. Zum direkten Spüren ist es da und erreicht Menschen tiefer und unmittelbarer als Film. „Beim Theater gibt es einen anderen Rahmen der Realität. Dadurch kann man viel tiefer gehen”, meint der Theatermacher. Seine Leidenschaft für die Bühne fing damals im Schultheater in Istanbul an. Turgay schrieb damals Kurzgeschichten, „kleine kindliche Geschichten“. Jetzt inszeniert er das Theaterstück „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht am Landestheater Altenburg. In Beyoğlu erzählt uns der Schauspieler, Theaterregisseur und ehemalige Physik-Student von seinem persönlichen Werdegang zwischen Istanbul und Deutschland und von seiner aktuellen Inszenierung.

Turgay ist in Gelsenkirchen geboren, darauf ist er  fast ein bisschen stolz. Nach zehn Jahren Gelsenkirchener Leben bewegten sich seine Lebensmittelpunkte immer zwischen dem Ruhrgebiet und Istanbul: Erst ging er nach der Grundschule für fünf bis sechs Jahre als Schüler nach Istanbul, sein Abitur machte er aber 1989 in Deutschland. Während er in Istanbul immer mit der vapur über den Bosporus zur Schule gefahren war, nahm er in Deutschland die Bahn, was etwas ernüchternd gewesen sein muss. Seit zehn Jahren  ist er nun wieder in Istanbul, wo er in den Bereichen Theater, Film und Werbung aktiv ist.

“Das Universum ist verdammt groß.”

Sein leidenschaftlicher Hauptfokus liegt nach wie vor auf dem Theater. Nach dem Schultheater ging es mit professioneller Produktion weiter. Im Rahmen eines Theaterprojekts mit dem türkischen Schauspieler Tuncel Kurtiz und der deutschen Schauspielerin Annette Uhlen spielte er als 17-Jähriger in dem Stück „Das Epos von Scheich Bedreddin“ von Nazim Hikmet, das in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens aufgeführt wurde. Darauf folgten viele weitere Projekte im Ruhrgebiet und Turgay, damals Student, stand vor der Entscheidung, sein angefangenes Physik-Studium zu Ende zu bringen oder sich im Bereich Schauspiel weiter zu professionalisieren. Turgay liebte und liebt auch heute noch die Physik. „Das Universum ist verdammt groß“, ist sein Credo, Turgay erwähnt es mehrmals während des Gesprächs, „verdammt groß!“ Er muss es wissen. Er hat es studiert.

Doch die Leidenschaft für das Theater scheint trotzdem überwogen zu haben. Turgay gründete das Istanbuler Theaterensemble „gnelev“, kurz für genel ev, was sich mit “Bordell” übersetzen lässt. Auf den ersten Blick ein etwas ungewöhnlicher Name. Hintergrund ist seine deutsche Theatervergangenheit, wo es im Jargon immer hieß: „In welchem Haus bist du?“ Da das Ensemble nicht im Besitz einer eigenen Räumlichkeit ist, sondern in verschiedenen Theatern spielt, wurden die Begriffe „allgemein“ und „Haus“ zusammengeführt, woraus dann „gnelev – genel ev“, wörtlich übersetzt „allgemeines Haus“, entstanden ist.

Seit Mai diesen Jahres ist Turgay allerdings wieder auf deutschen Bühnen unterwegs und inszeniert das Stück „Mutter Courage“ von Bertolt Brecht am Landestheater in Altenburg. „Ich saß genau hier, als ich den Anruf vom Altenburger Theater bekam“, erzählt uns Turgay und weist auf den Laden, in dem wir uns mit ihm getroffen haben – sein Stammlokal in Beyoğlu. „Am nächsten Tag sollten die Theaterproben für ein anderes Stück, in das ich involviert war, beginnen.“ Nach kurzer Überlegung sagte er in Altenburg zu und die Proben für „Mutter Courage“ gingen nur eine Woche später los. Für ihn hat das Kriegsstück, bestehend aus dem Dreieck Mutter Courage, Krieg und Kinder, vor allem in diesen Zeiten, in denen „die Welt am Rad dreht“, viel zu sagen und ist auf aktuelle Geschehnisse der globalisierten Welt übertragbar. Mutter Courage verdient durch den Krieg ihr Geld, um ihre drei Kinder zu ernähren. Auf der anderen Seite aber braucht der Krieg Kinder, um weiterzugehen. Mutter Courage, für Turgay eine „nackte Realistin“, ist sich dieser paradoxen Situation bewusst, versucht diesen Kreis zu durchbrechen, aber es gelingt ihr nicht. Alle drei Kinder sterben. „Für mich handelt die Mutter Courage von ebendiesem Clash des Gefühls und der Realität“, sagt Turgay. Er wünscht sich diese Ehrlichkeit und Offenheit, wie Mutter Courage sie zu Tage bringt, auch für Akteure in der Politik.

Neben dem Theater ist Turgay auch hin und wieder im Fernsehen zu sehen, zum Beispiel in der ProSieben-Produktion “Märchenstunde” und in der ARD-Produktion „Mordkommission Istanbul“, wo er als Gerichtsmediziner Leichen obduziert. Seine Gesten und Worte aber lassen deutlich spüren, dass Theater eine Herzensangelegenheit für Turgay ist. Der Rahmen der Realität, die intensiven Probephasen und die physikalische Nähe zum Publikum machen das Theater für ihn persönlich besonders reizvoll – in diesem verdammt großen Universum.

Text: Tuğba Yalçınkaya
Bilder: Marie Hartlieb

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