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Über die Vielfalt der inneren Haymat

Eindrücke von unserem Schreibworkshop

Der Kölner Stadtbrunnen Mülheim ist noch nicht angeschaltet, als Tuğba und ich an einem goldenem Herbstmorgen auf dem Weg zum Kulturbunker sind. Die Rheinpromenade befindet sich noch in einem samstagmorgendlichen Halbschlaf, die Herbstsonne nimmt das werktägliche Tempo raus. Unsere Schritte rascheln in den Herbstblättern und wir gehen den Schreibworkshop nochmal durch. Ein bisschen Aufregung bleibt immer, wenn man weiß, dass man einander fremde Menschen nicht nur zum Schreiben anleiten soll, sondern auch dazu auffordert, sich zu öffnen und vor Unbekannten Einblicke in die eigene Biografie zu geben.

Die Fortsetzung unseres Schreibworkshops „Haymat(en) in mir“ am 26.10.2019 in Köln wurde durch die Unterstützung des Mülheimer Heimatministeriums, dem Zentrum für Heimat, Gemeinschaft und Kulturen ermöglicht. Der Kulturbunker Mülheim isteinKulturzentrum im Stadtteil Köln-Mülheim. Hier treffen sich Menschen verschiedenster Herkunft. Mit dem Programm „Mülheimer Heimatministerium“ (MülHeiMin) möchte der Kulturbunker in den nächsten drei Jahren dieser Vielfalt Rechnung tragen und zu einem Anlaufpunkt und Impulsgeber im Viertel für alle Themen rund um Heimat werden.

Vierzehn Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Geschlechts kamen im Kulturbunker zusammen, um die Haymat(en) in sich zu erkunden und sich reflexiv mit Begriffen wie Identität, Zugehörigkeit und Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Die Schreibworkshops unserer Kulturplattform Maviblau e.V. basieren auf einem sehr grundsätzlichen Ansatz – Schreiben macht Spaß – und einem sehr konkreten – schreibend kann man neue Zugänge zu sich selbst und dem eigenen Haymatbegriff finden.

Das Ziel der Veranstaltung war es, Menschen, die sich in mehreren Kulturen beheimatet fühlen, für ihre eigene Biografie zu sensibilisieren und ihre hybride Identität als Stärke herauszustellen.

Doch was heißt Haymat im Kontext unserer Workshops überhaupt? In unserem ersten Workshop „Haymat(en) in mir“ in Berlin kristallisierte sich schnell heraus, dass Haymat für die Teilnehmer*Innen mehr ist als ein Geburtsort oder nationale Zugehörigkeit. Haymat ist viel mehr ein Gefühl der Zugehörigkeit, das in uns selbst entsteht und vor allem durch Familie, Freundschaften, Auslandserfahrungen und bedeutende biografische Ereignisse geprägt wird. Selbstverständlich spielen auch kulturelle und nationale Prägungen eine bedeutende Rolle für den eigenen Haymatbegriff, dennoch werden diese Einflüsse als aufbrechbare Strukturen erkannt. Identitäten, die sich nicht mehr einzig durch eine nationale oder kulturelle Herkunft definieren, werden immer mehr. Ihre Stimmen brauchen mehr Gehör im öffentlichen Raum.

Ein Grund, warum wir uns bei Maviblau entschieden haben, das Thema in kreativen Schreibworkshop anzugehen. Schreiben bleibt und überdauert den Moment, in dem es geschrieben wurde. So findet es mehr Einzug in die Öffentlichkeit. Darüber hinaus unterstützt Schreiben einen reflexiven Prozess, indem neue Gedanken entstehen können. Ein Schreibprozess bereichert durch die Möglichkeit, Zeit zu bekommen, sich mitzuteilen und dadurch loszulassen. Ein Grund, warum es uns Workshopleiterinnen so wichtig ist, dass jede und jeder die Gelegenheit erhält die eigenen Texte vorzustellen. Sind die Teilnehmer*innen anfangs dahingehend noch zurückhaltend, wird dies im Laufe eines Workshops auch von den Teilnehmer*innen zunehmend als Bereicherung wahrgenommen.

Es ist schön, festzustellen, dass trotz aller Differenzen in den individuellen Biografien doch untereinander auch viele Parallelen bestehen. Insbesondere bei der Schreibaufgabe, die eigene Lebenslinie zu skizzieren, wurde dies transparent. Durch welche Einflüsse bin ich überhaupt der Mensch geworden, der ich bin und in wie weit helfen mir diese Erkenntnisse in meiner Gegenwart? Biografien anderer zu betrachten, zu sehen, welche Lebensfragen sie sich stellen, durch welche Lebenskrisen sie gegangen sind und wie sie sich selbst neue Wege in neues Glück geschaffen haben, ist auch für die eigene Identität beflügelnd und wird als empowernd empfunden.

Als wir gegen 16.00 aus dem Kulturbunker Richtung Keupstraße aufbrechen, um den beflügelnden Tag mit einem Essen beim Asmalı Konak ausklingen zu lassen, werden noch einige Gespräche, die im Workshop aufgekommen sind, weitergeführt. Wir alle in dieser Runde sind ganz unterschiedlich, doch in einem sind wir uns gleich: im Wunsch nach Anerkennung von Vielfalt.

Wir von Maviblau sind dankbar, dass der Workshop so zahlreich besucht wurde und alle Teilnehmer*innen die Bereitschaft mitgebracht haben, ihre Geschichten zu teilen. Die Bereitschaft hat dazu beigetragen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle auf Augenhöhe begegneten, mit Informationen respektvoll und sensibel umgegangen sind und das vorgetragene Geschriebene wertgeschätzt haben.

Neben vielen anregenden neuen Gedanken, ist auch ein Gedicht aus dem kollaborativen Schreiben aller Teilnehmer*innen entstanden. Dies könnt ihr unter dem folgenden Link finden.

Der Schreibworkshop “Haymaten in mir” ist eine Kooperation von Maviblau e.V. und dem Mülheimer Heimatministerium – Zentrum für Heimat, Gemeinschaft und Kulturen. Ein Programm gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein – Westfalen.

Text: Carina Plinke
Bilder: Anne Barth

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