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Hadi izleyelim! Deutsche versus türkische Serien: Ein Blick in zwei Welten.

Ob geballtes Drama, schillernde Komödie oder aber mörderisches Intrigenspiel – zur Primetime im Fernsehen oder im Netz 24/7: Das Serial Drama ist der omnipräsente Dauerrenner in der türkischen Fernsehwelt. Die Einschaltquoten in der Zielgruppe erreichen Traumwerte von über 30%, türkische Serien werden weltweit exportiert und jährlich gehen etwa 50 bis 70 neue Serials an den Start, wovon zumindest die Hälfte das Saisonende überlebt. Keine schlechte Bilanz – zumal den türkischen Survivern unter den Neuproduktionen Ruhm, Glanz und Gloria in Aussicht gestellt wird: Türkische Jungschauspieler werden über Nacht zu Weltstars, ganze Tourismuszentren entstehen an ehemaligen Drehorten und Produktionsfirmen, Broadcaster und Konzernriesen dürfen sich überwältigender Popularität und üppigem Geldsegen erfreuen. Und in Deutschland? Hier kann mitunter sogar vom Soap-Sterben gesprochen werden – Stichwort: Marienhof und Verbotene Liebe. Um die deutschen Newcomer-Serials im Jahr aufzuzählen braucht es keine fünf Finger. GZSZ in Spielfilmlänge? Vielleicht mal zur Jubiläumsfolge. Alles was zählt-Darsteller auf den roten Teppichen der Welt? Fehlanzeige. Natürlich erzielen auch deutsche Serien wie Der Tatortreiniger oder Türkisch für Anfänger immer mal wieder Erfolge auf nationaler sowie internationaler Ebene – an den Maßstab türkischer Serien kommen die deutschen Produktionen aber nicht heran.

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Warum also ist die türkische “dizi” so erfolgreich? Zunächst liegt die Türkei mit durchschnittlich 247 Fernsehminuten pro Tag (das sind knapp über 4 Stunden; Stand 2014) nicht nur über dem EU-Durchschnitt sondern lässt auch Deutschland weit hinter sich. Von dieser Fernsehzeit geht wiederum ein großes Stück Marktanteil an die Eigenproduktionen – mitunter zwangsläufig, denn tatsächlich besteht das Programm der populärsten türkischen TV-Sender zum Großteil aus nationalen TV-Serien. Alleine das Archiv des Privatsenders Kanal D zählt über 90 Serials, von denen derzeit sieben in der Woche ausgestrahlt werden. Um zudem möglichst viel Profit aus dem großen Marktanteil zu schlagen, gibt es die “dizi” in Spielfilmlänge deluxe: Durchschnittlich 150 bis 180 Minuten umfasst eine Episode (Werbeslots und Recaps eingeschlossen). Bei rund 40 Folgen à zwei Staffeln ist entsprechend viel Durchhaltevermögen gefragt. Kein Wunder also, dass der Fernseher in der Türkei zur Grundausstattung zu gehören scheint und das nicht etwa nur zu Hause: Friseur, Lokanta, Mini-Shop, sogar im Hamam läuft die Flimmerkiste tagein, tagaus. Dass zwischen der deutschen und türkischen Serienlandschaft Welten liegen, dürfte spätestens an dieser Stelle deutlich geworden sein.

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Dass die Unterschiede groß sind, zeigen aber nicht nur die die nackten Zahlen. Tatsächlich offenbart sich erst beim Einschalten in die jeweils deutsche und türkische Serie, dass jedes Land sein ganz eigenes Facettenspektrum mitbringt. In deutschen Serials sehen wir den Berliner Fernsehturm, die Oberbaumbrücke oder den Kölner Dom. Hier liebt Ayla David genauso wie Joscha Kai liebt, es wird Döner und Currywurst gegessen, an Weihnachten werden Geschenke ausgepackt, die aktuellen Musik-Charts laufen im Hintergrund rauf und runter und der neuste Shit wird mit “Geil” und “Läuft bei dir!” kommentiert. Türkische Serials spielen dagegen sowohl auf den Dörfern Anatoliens, als auch im Zentrum oder in den Vororten Istanbuls – dann häufig genau dort, wo die Schönen und Reichen wohnen. Wir sehen traditionelle Kleidung vor idyllischer Dorfkulisse, lange Blumenröcke, alte Damen mit bunten Kopftüchern, landestypische Bräuche genauso wie moderne Kleidung, neuste Smartphones und prunkvolle Villen direkt am Bosporus. Untermalt von türkischer Musik wird Çay getrunken oder aber Raki-Meze-Abende veranstaltet und auch hier lieben sich Bihter und Beylül oder aber Yağmur und Rüzgar. Neben Themen wie Liebe, Freundschaft, Intrige oder Berufsleben nimmt zudem das Familienleben einen besonderen Stellenwert in der türkischen Serie ein: Baba, Anne, Hala, Teyze und Amca – ganze Erzählstränge und Kerngeschichten spielen sich im Kreise der Familie ab und lassen keinen Zweifel daran, wie viel Bedeutung dieser Form der Lebensgemeinschaft zugesprochen wird.

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Warum sich das Schauen türkischer Serien also lohnt? Serials werden auf dem gesamten Erdball produziert und greifen landestypische Eigenschaften und Merkmale auf. Dementsprechend lassen uns Serials über den eigenen Tellerrand schauen und eröffnen uns einen Blick in neue fremde Kulturkreise. Die Eigenarten einer Nation, wie sie reden, sich bewegen, essen und lieben, das alles lässt sich kennenlernen – wenn auch auf diesem Wege zunächst nur als passiver Beobachter. Zudem eröffnet das Serial Drama auch Einblicke in die bestehenden Genderrollen eines Landes, denn egal ob Drehbuchautor, Regisseur oder Schauspieler: Alle erschaffen weibliche und männliche Seriencharakteren genau so, wie sie sich selbst und die Menschen in ihrer eigenen Umgebung wahrnehmen. “Making Gender” – im Fernsehformat. Natürlich sollte stets im Hinterkopf bleiben, dass wir es dabei häufig mit überzeichneten Stereotypen zu tun haben. Dennoch – wer erste Eindrücke über einen neuen Kulturkreis sammeln möchte und gleichzeitig auch sein Sprachgefühl ausbauen will, der ist bei den “dizis” dieser Welt ganz gut aufgehoben, natürlich am besten in Verbindung mit dem lebendigen Original.

Wer sich ein Bild machen möchte, kann hier Trailer vom türkischen Serienflaggschiff Aşk-ı Memnu mit denen der deutschen Serien Alles was zählt und Tatortreiniger vergleichen. Und wem der offizielle Aşk-ı Memnu Trailer noch zu wenig dramatisch ist, keine Bange, wir haben hier noch ein besonderes Highlight parat: ein Fantrailer – Drama pur. Viel Spaß beim Eintauchen in die Faszination Serials.

 

Text & Bilder: Maximiliane Schneider
Redaktion: Jonas Wronna

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