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„Zwei Außenseiter, die zueinander finden.“

Ilker Çatak spricht über seinen neuen Film

Ein Urlaub in Marmaris, eine flüchtige Bekanntschaft und kurze Zeit später: eine Hochzeit. Ilker Çatak erzählt in seinem neuen Film „Es gilt das gesprochene Wort“ die Geschichte einer Zweckehe, die zur Liebe wird, von zwei Außenseitern auf der Suche nach ihrem Glück und von der Vielfalt des Lebens.

Am Strand von Marmaris prallen Welten aufeinander. Junge, mittellose Männer aus der Türkei entertainen Touristinnen in Nachtclubs, schlafen für Geld mit Frauen und versuchen, über eine Liebschaft nach Europa zu gelangen. Mitten in diesem Szenario lernen sich Marion und Baran kennen. Eine selbstbewusste Pilotin aus Deutschland und ein junger Kurde, der aufgrund von Geldnot in die Prostitution gerät. Marion macht Urlaub mit ihrer Affäre Raphael, Barans Annäherungsversuchen gegenüber bleibt sie distanziert. Sie sagt ihm, er habe Besseres verdient. Er bittet sie, ihn zu heiraten. Kurze Zeit später holt Marion Baran nach Deutschland – ganz ohne vorgespielte Liebe.

Der Film begleitet die beiden Charaktere in ihrem Schicksal, in ihrem Beziehungsgeflecht irgendwo zwischen Abhängigkeit und Sich-Näherkommen, zwischen Ankommen und Distanz, zwischen Vertrauen und Risiko. „Letztlich ist es die Geschichte von zwei Außenseitern, die zueinander finden“, sagt Regisseur Ilker Cataks.

Der Ursprung des Film liegt bereits in Ilkers Kindheit. Die Dynamiken von Beziehungen zwischen türkischen Männern und europäischen Frauen hat Ilker, der in Deutschland aufwuchs und seine Sommer in Marmaris in der Ferienpension seiner Großeltern verbrachte, dort selbst beobachten können. Seit jeher faszinierten sie ihn: „Es war immer interessant, weil diese Beziehungen ja auch immer etwas zutiefst Trauriges haben und man nie weiß: Ist dieser junge Mann wirklich verliebt in diese Frau oder spielt er diese Liebe nur vor, um an etwas zu gelangen? Ich habe mich das immer gefragt.“

Eine Geschichte abseits der Klischees

Zehn Jahre lang hat er sich deshalb mit diesem Thema auseinandergesetzt und bringt nun die Geschichte eines solchen Paares auf die Leinwand: jedoch abseits der Klischees. Marion ist keine unattraktive Frau, die blind und naiv an die Liebe des jungen Mannes glaubt und Baran ist kein integrationsunwilliger Draufgänger, der nur des Passes wegen heiratet. Er entwickelt eine echte Liebe zu Marion.

Im Schaffensprozess sei er immer wieder in diese Klischeefallen getappt, erzählt Ilker: „Dann ist es die Aufgabe, das, was man geschrieben hat, zu hinterfragen und im Zweifel umzuschreiben. Das ist oft ein sehr schmerzhafter Prozess, weil man sich von dem, was man gebaut hat, verabschieden muss. Aber es ist nötig.“Auch das Publikum wird dazu eingeladen, die eigenen Klischees zu hinterfragen und die Vielschichtigkeit der beiden Hauptcharaktere zu erkennen. Immer wieder gerät der*die Betrachter*in in die Blickweise von Raphael, der Affäre von Marion, der ihre Entscheidung konstant in Frage stellt. In gewisser Weise scheint seine Rolle die Gesellschaft widerzuspiegeln, die manches nicht akzeptieren kann, sondern nach einfachen Antworten verlangt: Warum? Warum heiratet sie ihn?

Kino braucht Geheimnis

Doch Marions Geheimnis bleibt bis zum Schluss ungelüftet. „Wir sind es gewöhnt, für alles Gründe genannt zu bekommen“, bestätigt Ilker. Er selbst plädiert jedoch für mehr Geheimnis im Kino, für mehr Anspruch an den Zuschauer, selbst zu denken und zu imaginieren: „Wenn ich den Raum bekomme, mir etwas vorzustellen, dann ist die Vorstellung oftmals lebendiger als das, was man präsentiert bekommt. Das ist etwas, was Kino auszumachen hat.“
Letztlich sei im Film „Es gilt das gesprochene Wort“ das Warum auch nicht so wichtig, sondern die Art und Weise, wie eine Figur etwas mache. „Ich vertraue dem mündigen Zuschauer. Jemand der aufmerksam diesen Film guckt, wird tausend Gründe sehen, warum Marion das macht“, so Ilker.

Ein herausfordernder Dreh

Gemeinsam versuchen Baran und Marion, sich in das gesellschaftliche Leben in Deutschland einzuflechten: in das Berufsleben, in die Nachbarschaft, in das kulturelle Leben. Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie schwierig das Ankommen im „soğuk memleket“ Almanya sein kann – welchen Ressentiments und Hürden Baran und die Beziehung der beiden gegenüber stehen. Trotz dieser Aspekte bleibt es für Ilker die Geschichte von zwei Individuen, fernab einer Gesellschaftskritik. Und eine Geschichte, die auch Mut machen soll, Wagnisse einzugehen.

Die Herausforderungen der Protagonist*innen finden sich im Kleinen auch im Drehprozess selbst wieder, erzählt Ilker: Schauspieler Oğulcan Arman Uslu (Baran) hat für diesen Dreh die Türkei das erste Mal verlassen, sprach weder Deutsch noch Englisch und hatte so keine gemeinsame Sprache mit Anne Ratte-Polle (Marion). Das sei für die Dynamik der gesamten Geschichte aber gar nicht so schlecht gewesen, so Ilker: „Wenn ein Dreh Friede, Freude, Eierkuchen ist und es allen gut geht, heißt das noch lange nicht, dass der Film gut werden muss. Oftmals ist es so, dass du einen beschwerlichen Dreh hast, aber der Film wird dann sehr belobt.“

Und belobt wurde der junge Regisseur für seine Werke schon mehrmals. Mit seinem Film „Wo wir sind“ gewann er 2014 den Kurzfilmwettbewerb des Max-Ophüls-Festivals und wurde für den Student Academy Award nominiert. Für seinen Film „Sadakat“ wurde er mit dem Max-Ophüls-Preis, dem First Steps Award für den Besten Kurzfilm und dem „Studentenoscar in Gold“ für den besten ausländischen Kurzfilm ausgezeichnet. „Es gilt das gesprochene Wort“ hat mit seiner Vielschichtigkeit und tiefgründiger Emotion Potential, sich in diese Erfolgsmomente einzureihen.

Text: Marlene Resch
Fotos: X Verleih AG