Wir arbeiten gemeinnützig. Wenn ihr Maviblau unterstützen möchtet, dann schaut mal hier!

Postmigrantischer Dialog im Podcast.

Ein Gespräch mit Yavrum Deutschland

Auf Spotify kursiert seit Mitte April 2018 ein neuer Podcast: Yavrum Deutschland. Şeyda, Ufuk und Cem setzen sich hier mit ihren Erfahrungen in einer postmigrantischen Gesellschaft auseinander und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund. Die drei diskutieren über alles, was das Herz bewegt: Selbstfindung, Sehnsucht, tiefe Emotionen und Sex. Dabei werden sie so persönlich, wie es sich die wenigsten von uns nur trauen würden, und treffen mit ihrem Mut einen selten berührten Kern.

Wir haben uns mit Şeyda, Ufuk und Cem in Kreuzberg in ihrem Tonstudio getroffen, um weiteren Fragen nachzugehen, und die Gesichter hinter den Stimmen näher kennen zu lernen. Die drei wirken selbstbewusst, im Gespräch merkt man, sie sind ein Team mit einem gemeinsamen Ziel: Den postmigrantischen Diskurs in die Mitte der Gesellschaft rücken.

Alle drei sind im Mediengeschäft unterwegs. Cem macht Filmprojekte und hat einen Youtubekanal, Ufuk ist Fernsehredakteur und freier Medienmacher, Şeyda ist Journalistin. Die drei kennen sich noch aus Duisburg und Köln, nun studiert Şeyda in Berlin, Cem zieht es immer öfter in die Hauptstadt und Ufuk plant auch seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlagern. Passend dazu starten sie ihren gemeinsamen Podcast.

Maviblau: Wie ist es zu “Yavrum Deutschland” gekommen?

Cem: Eigentlich war es ja Ufuks Idee. Der wollte schon immer einen Podcast machen.
Ufuk: Die Idee war da und dann haben wir zwei überlegt: Wer fehlt noch? Und beide kamen wir sofort auf Şeyda. Die haben wir dann direkt ziemlich besoffen angerufen.
Şeyda: Ich war gerade arbeiten auf der Berlinale und hab den Anruf bekommen, in dem die Jungs nur ins Telefon geschrien haben: “Wir machen einen Podcast!” Ich dachte erst: Was wollen die von mir? Aber dann hat mich die Idee doch nicht mehr losgelassen und im Kino konnte ich an nichts anderes mehr denken.

Maviblau: Wie bereitet ihr euch auf den Podcast vor?

Şeyda: Erstmal trinken wir Schnaps.
Cem: Wir gehen nicht gescriptet oder mit einem Plan vor. Wir wollen auf die persönlichen Erinnerungen zurückgreifen, und daher bleibt alles sehr spontan. Im Gespräch entsteht dann eine Aufnahme, die wir versuchen so unzensiert und ungeschnitten wie möglich zu veröffentlichen.
Ufuk: Das ist das besondere an unserem Vorgehen für den Podcast: Du weißt nur das, was du in dem Moment weißt, und bist der, der du in dem Moment bist. Dann fangen wir an zu quatschen und sind manchmal selber überrascht, wo wir landen.

Maviblau: Und warum der Name?

Şeyda: “Yavrum” hat dieses Doppeldeutige. Es ist ein Kosename und heißt eigentlich “meine Süße”, “meine Kleine”. Es ist eine Sympathiebekundung und hat gleichzeitig etwas herabsetzendes und sexuell anzügliches, weil es auch meistens von Männern zu Frauen gesagt wird. Das spiegelt ganz gut in der Umkehrung mein Verhältnis zu Deutschland wieder: Deutschland ist mein Süßer, ich empfinde oft Sympathie für ihn, aber wenn ich immer wieder auf die selben Auseinandersetzungen und kaum veränderten Diskussionen treffe, frage ich mich: Ach Deutschland, mein Kleiner, sind wir da immer noch nicht drüber hinweg?

Maviblau: Was ist “Yavrum Deutschland”?

Cem: Eigentlich ist es ein Gegenentwurf zu dem herrschenden Diskurs in Deutschland. In den deutschen Leitmedien trifft man selten auf Menschen, die aus ihrer eigenen Sozialisation heraus von ihren Erfahrungen sprechen. Stattdessen wird ständig über “die Immigranten”, “die Flüchtlinge”, “die Türken” berichtet.
Ufuk: Eine bestimmte Form des Gespräches von Postmigranten untereinander findet noch immer nicht statt. Wir sind bestimmt von den Diskursen der Mehrheitsgesellschaft. Und hier hat man immer dieselbe Rolle: Man muss entweder etwas repräsentieren oder verteidigen.
Şeyda: Wir wollten wissen: Was passiert, wenn wir uns von diesen Rollen lösen, und einfach mal miteinander und übereinander reden? Wohin führt das Gespräch, wenn man sich von diesen Verpflichtungen und dem sich irgendwie positionieren zu müssen befreit?

Maviblau: In eurem Podcast sprecht ihr immer wieder von “Biodeutschen”. Wen meint ihr damit genau, und sollen die euch überhaupt hören?

Cem: Mir ist der Terminus des Biodeutschen auch noch nicht lange bekannt. Es geht dabei anscheinend nicht um das Biologische, sondern um das Biographische. Und gemeint sind Menschen mit deutsch-deutschem Hintergrund im Gegensatz zu Leuten mit z.B. deutsch-türkischem Hintergrund. Es gibt viele – vor allem deutsche Zuhörer – die denken: Boah, “Biodeutsche”, das ist ja ausgrenzend.
Şeyda: Man ist es nicht gewohnt als Deutsche gelabelt zu werden, daher reibt man sich auch an dem Begriff und fühlt sich davon angegriffen. Viele können sich mit dem Begriff nicht identifizieren, dabei ist es eine Zuschreibung, nicht anders, als es der Begriff “Turkodeutsche” ist.
Ufuk: Klar, manche Dinge von denen wir sprechen, werden Zuhörern ohne turko-deutschen Background fremd sein. Aber genau hier liegt doch das Spannende: Unsere Erfahrungen und Erinnerungen mit der Mehrheitsgesellschaft zu teilen. Jeder, ob bio-deutsch oder turko-deutsch, kann aus unserem Podcast mitnehmen, was er mitnehmen kann und will.

Maviblau: Was ist euer Ziel mit Yavrum Deutschland?

Cem: Wir wollen Denkanstöße geben und zur Diskussion führen. Und auf jeden Fall wollen wir für mehr Offenheit im Dialog stehen. Nur so können wir eine neue Perspektive fernab aller Klischees ermöglichen.
Şeyda: Ich höre immer wieder, dass unsere Zuhörerinnen und Zuhörer am liebsten mitdiskutieren würden. Ich glaube nicht, dass sie das gleiche Empfinden haben, wenn sie im Fernsehen Hart aber Fair oder Anne Will sehen. Wenn wir diesem Bedürfnis nach Austausch endlich einen Raum geben und ihn stärken, haben wir schon viel geschafft.
Ufuk: Genau das ist auch das Ding: Ein gemeinsamer Austausch und ein Gespräch auf Augenhöhe. Wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen, wir reden einfach nur immer wieder betont subjektiv und aus unserer ganz persönlichen Perspektive. Wir wollen dabei keinen Erziehungsauftrag leisten, sondern durch unseren persönlichen Blick eine Diskussion mit neuen Perspektiven eröffnen.
Cem: Uns ist es wichtig, nichts zu erzwingen. Auf keinen Fall wollen wir zwanghaft Tabus brechen oder provozieren. Eher mit einer Selbstverständlichkeit entspannt, ehrlich und angstbefreit wichtige Themen angehen.

Maviblau: Und wie soll es bei euch in Zukunft weiter gehen?

Cem: Wir haben natürlich Ideen und Wünsche. Yavrum Deutschland ist ein langfristiges Projekt und keine Eintagsfliege. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung: Wie schafft man sich eine Community, wie Zuhörer, kann man damit Geld verdienen? Man muss irgendwelche Social Kanäle bedienen, Pressearbeit machen. Wir müssen gucken, wie wir neben unserer anderen Arbeit es schaffen, dieses Projekt weiter auszubauen. Leider ist es nicht unser Hauptprojekt.
Ufuk: Wobei es emotional definitiv unser Hauptprojekt ist. Uns lässt der Podcast nicht los.
Şeyda: Das stimmt! Manchmal höre ich mir eine Folge vier oder fünf mal an und denke über das nach, was ich gesagt habe: Meine ich das wirklich so? Möchte ich über dieses Thema wirklich so denken? Die Gespräche klingen nach und beschäftigen mich in meinem gesamten Alltag. Wir drei stehen im ständigen Kontakt, tauschen uns aus, diskutieren und suchen nach Antworten.
Cem: Und Yavrum Deutschland soll auch dieses Suchen bleiben. Wir wissen nicht, was noch passieren wird, und hoffen gemeinsam Neues zu entdecken. Über Identität, Zugehörigkeitsgefühl, Komplexe und das Leben als Turkodeutscher mitten in Deutschland.

Anhören könnt ihr euch “Yavrum Deutschland” bei Spotify und bei Apple Podcast. Jeden Samstag gegen Mittag gibt es eine neue Folge. Folgen könnt ihr den dreien bei Facebook und bei Twitter.

Hier der Link zu ihrer ersten Folge über Identität und postmigrantische Unruhen.

Text: Derya Reinalda
Fotos: Marie Hartlieb 

Weiterlesen
Es war einmal ein Vater…