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Dieser Dokumentarfilm zeigt, wie die Türkei deutschen Wissenschaftlern eine neue Heimat gab

Als 1933 die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler in Deutschland die Macht ergreifen, verlieren hunderte deutsche Wissenschaftler, darunter vor allem Juden, ihre Existenz und müssen das Land verlassen. Zur gleichen Zeit formt viele Kilometer weiter östlich Mustafa Kemal Atatürk die säkulare Republik der Türkei. Wichtig ist dem türkischen Staatsgründer dabei eine Reform der Universitäten. Und dafür braucht er europäische Wissenschaftler. Also bietet Atatürk den deutschen Flüchtlingen die Türkei als Exilort an und lässt sie in Ankara und Istanbul die Universitäten nach ihren Vorstellungen gestalten. Dieses bisher kaum bekannte Kapitel der deutsch-türkischen Geschichte findet nun endlich seinen Weg in die Kinos.

Regisseurin Eren Önsöz begleitet in ihrem Dokumentarfilm “Haymatloz” fünf Menschen der nächsten Generation nach Deutschland, in die Türkei, in die Vergangenheit und in das Jetzt. Susan Ferenz-Schwartz, Kurt Heilbronn, Engin Bagda, Enver Hirsch und Elisabeth Weber-Belling verbindet eine Kindheit in der Türkei und das Aufwachsen ohne wirkliche Heimat. “Es gehört zu unserem Schicksal, dass wir nirgends zu Hause sind”, sagt Susan Ferenz-Schwartz. Einige der deutschen Exilanten bekamen damals das Wort “heimatlos” in den Pass gestempelt, was später als “haymatloz” dann Eingang in die türkische Sprache fand.engin-schule

Zu Beginn des Films stellt sich jede*r Protagonist*in einzeln in dem eigenen Zuhause vor, parallel dazu wird die Geschichte des jeweiligen Vaters erzählt. Eine Off-Stimme liest unregelmäßig persönliche Texte der Exilanten vor, in denen der Türkei und Atatürk als Lebensretter gedankt wird. Danach begleitet Eren Önsöz die fünf Hauptfiguren an die Orte an den Universitäten, an denen die Väter gewirkt haben.  Aber nicht nur die Väter werden beschrieben. In emotionalen Spaziergängen durch den Gezipark, zum Taksimplatz oder durch Kadıköy erzählen die fünf Menschen von ihren Jugenderinnerungen, Elisabeth Weber-Belling zeigt ihren Schulweg durch Galata.

In ihrem Film legt Eren Önsöz Wert auf eine Vielzahl von neuen Begegnungen. Sie bringt zum ersten Mal Kinder der Exilgeneration zusammen, Susan Ferenz-Schwartz und Kurt Heilbronn laufen gemeinsam durch Kadıköy, Elisabeth Weber-Belling trifft auf die Tochter von Ismet Inönü, den Nachfolger von Atatürk, Engin Bagda unterhält sich mit dem heutigen Leiter seiner alten Schule und blättert mit ihm durch alte Fotoalben.

Doch obwohl sich Eren Önsöz in ihrem Film eng an den historischen Ereignissen orientiert und durch viele Schwarz-Weiß-Bilder die Vergangenheit illustriert, verliert die Regisseurin nicht den Bezug zur Gegenwart. Besonders stark sind die Szenen, in denen heutige Studierende der Universitäten Istanbuls auf die fünf Protagonisten, die Kinder der Menschen, die ihre Universität aufgebaut haben, treffen. Geschickt verwebt Eren Önsöz so die damaligen Vorstellungen der deutschen Wissenschaftler mit der Frage, was davon heute noch übrig geblieben ist. Nicht nur deshalb ist der Film höchst aktuell: In den vergangenen Tagen wurde vom Innenministerium veröffentlicht, dass schon über 35 Türk*innen mit Diplomatenpässen Aysl in Deutschland beantragt haben. Wer ein tieferes Verständnis für die deutsch-türkischen Beziehungen entwickeln möchte, sollte sich “Haymatloz” ansehen.

 

Hier findet ihr die Kinotermine von “Haymatloz”.

Text: Laurenz Schreiner
Bilder: Mindjazz Pictures

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