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Ein Fährtagebuch

Bilder und Botschaften vom Bosporus

Das alles zu sich rufende Meer, ruft auch mich. Ich muss gehen.
So heiß die Nächte auch sind, nicht fortzugehen bedeutet zu Eis zu erstarren.
Ich muss gehen, denn nicht gehen zu können bedeutet an ein und demselben Ort wie gelähmt zu verharren und sein ganzes Dasein auf einem gezähmten Boden festzufahren.“  -H.Gibran

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Es wurde Zeit und ich kehrte dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen war, den Rücken zu, ohne mir ganz bewusst zu sein, dass ich die Tür doch einen Spalt weit offen gelassen hatte. Ich wagte den Schritt und nun bin ich hier. Jetzt stehe ich jeden Morgen hier und lasse mich in dieser riesigen Stadt mit den Menschenströmen, die von Zuhause zur Arbeit und von der Arbeit woanders hin fließen, mitreißen.

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Auf einer alten Fähre verliere ich mich meine Umgebung betrachtend in Gedanken, während die Wellen mich vorantreiben. Mit größter Wahrscheinlichkeit bin ich eine der wenigen Glücklichen, die eine der besten Routen dieser Stadt nutzen kann.

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Wenn ich manchmal die Fähre verpasse, habe ich das Gefühl, dass mir die Luft weg bleibt. In Anbetracht der alternativen Fortbewegungsmöglichkeiten in dieser Stadt ist dies nicht verwunderlich.

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Der Grund, warum ich es bevorzuge, so lange es geht dem Wind trotzend auf der Fähre draußen zu sitzen, ist die tonnenschwere, heiße Luft, die über den Köpfen derer hängt, die sich ohne groß zu überlegen rein setzen, weil es eben Herbst oder gar Winter ist. Wie halten diese Menschen es bloß in solch einer sauerstoffarmen Umgebung aus, wo es doch die Möglichkeit gibt, die frische Bosporusluft tief einzuatmen?

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Wobei der Bosporus, der über Jahrhunderte hinweg in Gedichten seinen Platz fand und in Romanen seitenweise beschrieben wurde, auch nicht mehr das ist, was es mal war.
Es scheint, als ob eben dieser, umgeben von sich immer weiter ausbreitenden Bauarbeiten, seinen abgesperrten Ufern und dieser aus allen Nähten platzenden Stadt, mit jedem Tag kleiner wird. So, als ob er uns eines Tages nicht mehr beim Einatmen behilflich sein könnte.

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Scheinbar haben wir jene Tage noch immer nicht erreicht. Als ob es irgendwo noch eine Hoffnung gäbe. Dem eisigen Wind standzuhalten wird das Beste sein, denke ich.

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Diejenigen jedoch, die es bevorzugen, drinnen zu sitzen, scheinen sich jetzt schon zu üben…
Bezüglich dem, was uns noch bevorsteht.

Bilder und Text: Ezgi Beyazgül

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