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Liebe auf Leinwand. Der Weg einer Schweizer Künstlerin zum Bosporus in den 80ern

Wir sitzen in Kuzguncuk, einem ruhigen Stadtteil von Istanbul, im Wohnzimmer von Ursula Katipoğlu, einer Künstlerin aus der Schweiz. An den Wänden hängen die Bilder von ihr und ihrem Mann Yusuf: Ursulas Bilder zeigen farbenfrohe Abstraktionen, meistens von Bergwelten und Städten. Yusufs Bilder dagegen erzählen ihre Geschichten in farblich  gedämpften Tönen. Ursprünglich stammt Ursula aus einer ländlichen Region im Südwesten der Schweiz, Yusuf kommt aus Trabzon. Seit über 35 Jahren leben und malen sie gemeinsam in Kuzguncuk.

Doch beginnen wir von vorne: 1978 finden Ursula und ihre Freundin aus der Schweiz den Weg zu einem Urlaub in die nordöstlich gelegene Provinz Trabzon am Schwarzen Meer. Dort wird Ursula einem der wenigen Künstler der Stadt, dem Maler Yusuf Katipoğlu, vorgestellt. Zurück in der Schweiz organisiert sie dann mit einem befreundeten Galeristen eine Ausstellung für Yusuf, zu der er im Jahr darauf mit Dias seiner Werke im Gepäck aus der Türkei in die Schweiz reist. Ein weiteres Jahr und viele Briefe später entscheidet sich Ursula, nach Istanbul zu ziehen und ihre künstlerische Laufbahn in der Türkei fortzusetzen.

Zusammen mit Yusuf mietet sie ein Haus in Kuzguncuk und beginnt auf unzähligen Spaziergängen, die Stadt am Bosporus mit den Augen einer neugierigen Malerin zu erkunden. Insbesondere Eindrücke der Istanbuler Architektur verändern  im Laufe der ersten Jahre  den Stil von Ursulas Arbeiten: Hatte sie in der Schweiz eine eher klassische Kunstausbildung genossen und auch mit traditioneller Glasmalerei gearbeitet, so wird ihre Kunst nun immer abstrakter. Ursula erzählt uns von den Marktständen, die damals noch mit zusammengenähten Stoffen verschiedenster Farben und Materialien überdacht waren: „Solche Eindrücke haben sich auf der Leinwand in abstrakte Gemälde verwandelt.“

Doch was bedeutete es als Schweizer Künstlerin in den 80er Jahren in die Türkei zu kommen? „Damals gab es eine sehr geschlossene Kunstgesellschaft und wenig Einflüsse aus Europa“, erinnert sich Ursula, „es gab vielleicht drei bis vier Galerien.“ Die Malerei hatte in der Türkei nur wenige namhafte Vertreter und keine weit zurückreichende Tradition – ganz im Gegensatz zur europäischen Malerei.  Das türkische  Kunstverständnis beschränkte sich mehr auf das Kunsthandwerk, wozu unter anderem das Knüpfen von Teppichen, das Anfertigen von Stickereien und die Herstellung von Geschirr zählten. Auch heute noch stellt es eher eine Ausnahme dar, sich statt frommer Sprüche, Hochzeitsfotos oder Kilims, Bilder an die Wand zu hängen.

Obwohl Ursulas bunte Ölmalerei zwischen den, wie sie es beschreibt, „etwas dunklen schwermütigeren  Bildern“ in der Kunstszene der 80er großes Interesse geweckt hatte, konnten sie und ihr Mann von der Kunst alleine nicht leben und das Ersparte reichte kaum für ein Jahr. Auch deshalb stellten sie ihre Werke hin und wieder in der Schweiz aus. Auf die Frage hin, wieso sie in Istanbul geblieben und nicht wieder in die Schweiz gezogen sei, antwortet sie prompt und klar: „Yusuf hätte es dort nicht ausgehalten.“


Hat sie etwas vermisst? Ja! Ursula hat lange nicht voll in Diskussionen einsteigen und sich an ernsteren Gesprächen  beteiligen können. Das hatte hauptsächlich zwei Gründe: Zum einen waren in den 80ern, der Zeit des Militärputsches in der Türkei, Sprachkurse wenig gefragt. Es gab kaum Ausländer, die Türkisch lernen wollten, was Sprachkurse auch nicht besonders erschwinglich machte.  Zum anderen hat sie als Künstlerin ihren Fokus vielmehr auf das Visuelle gelegt und damit sehr lange gebraucht bis sie des Türkischen mächtig wurde. Bei der Erziehung ihrer zwei Söhne hat sie dann aber ganz klar dem Türkischen den Vorrang gegeben, um ihnen als Kinder einer Ausländerin sprachlich eine Einheitlichkeit zu bieten und somit Verwirrungen aus dem Weg zu gehen. Außerdem sah Ursula keinen Sinn darin, den beiden Jungen das Schweizerdeutsch beizubringen, und Hochdeutsch ist für sie selber eine Art Fremdsprache, aber den Söhnen durchaus geläufig.

Bis heute werde in der Türkei wenig Geld für Kunst ausgegeben, es gebe kaum Sammler und auf Kunstunterricht in den Schulen werde leider auch wenig Wert gelegt, erzählt uns Ursula. Die Künstler und Künstlerinnen aus Kuzguncuk ziehen sich immer mehr zurück, der Rummel an Touristen in dem nostalgisch anmutenden Stadtteil am Fuße der Bosporusbrücke nimmt überhand. Vor 10 Jahren hatte Ursula mit einigen anderen Künstlerinnen und Künstlern in Kuzguncuk versucht die Kunst auf die Straße zu bringen, doch ihrer Meinung nach kaufen heutzutage nur die Neureichen „Dekoration“ ohne großes Kunstinteresse.

In Kuzguncuk haben Ursula und Yusuf in den letzten Jahren in der dortigen Galerie oft und erfolgreich ausgestellt, aber in der Schweiz hatten sie zuletzt vor 10 Jahren eine Ausstellung. Die hohen Zollauflagen machen eine Ausstellung außerhalb der Türkei zu einem  sehr teuren Unterfangen. Doch im Rahmen einer von ihrer  Familie organisierten, bewusst im kleineren Rahmen gehaltenen Ausstellung, konnte sie im Herbst 2014 ihre Werke dort wieder einmal präsentieren.
Ursula stellte sich manchmal die Frage: „Was hätte ich gemacht, wenn ich in der Schweiz geblieben wäre?“ und antwortet zufrieden mit „Ich denke, die Türkei war schon gut für mich.“

 

Das Wort zum Abschluss unseres Gespräches überlassen wir ihr: „Es ist vielleicht auch zu sagen, dass junge Kunst anfängt mehr gefragt zu sein, ältere MalerInnen wollen sich nicht mehr dem Trubel des Wettbewerbes stellen. Man wird langsam älter glaub ich“, sagt sie und lacht.

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Text: Cornelia Belkin, Tuğba Yalçınkaya
Bilder: Charlotte Schmitz

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