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Bauernschläue à la Istanbul

Auf der Suche nach einem Parkplatz

Parkplatzsuche in Metropolen bedeutet Im-Kreis-Fahren, Manövrieren und häufig jede Menge Missmut. Diese Not kann manch einen erfinderisch machen. Christian Feiland erzählt von einer ungewöhnlichen Begebenheit bei der Parkplatzsuche im Istanbuler Stadtteil Üsküdar.

In der Türkei scheint es eher verpönt zu sein, ablehnende Antworten oder unangenehme Wünsche direkt zu formulieren. Ein direktes „Nein” klingt für die Ohren der Türk*innen brutal unhöflich, Hiobsbotschaften werden lieber umschrieben, und dies so geschickt, dass es sich für das ungeübte deutsche Trommelfell nach einem “Ja” oder zumindest einem “Klappt bestimmt” anhört. Wenn es dann doch anders kommt als gesagt, ist die Verwunderung umso größer – zumindest für den oder die wahrheitsverwöhnte*n Deutsche*n. Ähnlich ist es mit Situationen, in denen es manche Türk*innen nicht wagen, eine Forderung zu stellen oder gar versuchen, ihr Gegenüber lächelnd auszutricksen. In so einer Situation fand ich mich vor kurzem wieder: Völlig harmlos und irgendwie niedlich.

Es ging um die leidige Parkplatzsuche in unserer Millionenmetropole Istanbul. Eine Stunde vor dem Iftar, dem Fastenbrechen, ist es in der Nähe des Bosporus, wie bei uns im Viertel Üsküdar, fast unmöglich einen Parkplatz zu finden. Aus allen Himmelsrichtungen kommen Menschen angepilgert, um den einmaligen Blick samt Sonnenuntergang zu genießen. Besonders voll wird es an Sonntagen, dem einzig freien Tag der meisten Angestellten, die fast immer sechs Tage die Wochen arbeiten müssen.

Auch ich komme um diese Uhrzeit von einem Ausflug zurück und nach vielen frustrierenden Runden in der Nachbarschaft erspähe ich endlich einen Parkplatz. Er ist nicht besonders groß, aber ich werde meinen Wagen schon hinein manövrieren, denke ich. Mit gerade mal 20 Zentimeter Abstand zum Vorder- und Hintermann ist der Wagen nach einigen Fahrmanövern dann eingeparkt. Die Straße ist erfreulich breit und andere Autos können bequem vorbei fahren. Das Risiko, erneut einen Kratzer oder gar eine dicke Beule bei der Rückkehr vorzufinden, erscheint mir also relativ klein.

Schon beim Einparken war mir ein kleiner PKW in der Nähe aufgefallen. Der etwa 18-jährige Fahrer hatte zwei Personen aussteigen lassen und steht noch immer mitten auf der Straße. Eine ältere Frau neben ihm, vermutlich seine Mutter, höre ich sagen: “Biraz dolaşacaksın.” (Wirst ein wenig rumfahren müssen) Der junge Mann hat mein Mitgefühl. “Viel Glück, der hier ist meiner, musste halt suchen, um einen anderen Parkplatz zu finden!”, denke ich, während ich meinen Heimweg antrete.

Nach einigen Metern kommt mir ein Mann um die 40 entgegen. Er hat eine Einkaufstüte in der Hand und wirkt sehr entspannt. “Ist das Ihr Auto?”, fragt er mich. “Welches?” sage ich verwirrt, weil ich ja schon eine Weile unterwegs bin. “Das, das sie gerade eingeparkt haben. Hinter dem schwarzen Jeep”, meint er freundlich. Meinen Verwirrung ist perfekt. Wieso fragt er mich, wenn er es gesehen hat? Naja, vermutlich die übliche übervorsichtige Höflichkeit, denke ich mir. “Ja ist es”, sage ich. “Seien sie vorsichtig, es ist eng, ihr Auto könnte beschädigt werden”, erwidert er lächelnd. “Ist ok, der Jeep hat vorne sehr viel Platz um rauszufahren. Vielen Dank.”

“Aber an der Stelle werden oft die parkenden Autos von vorbeifahrenden beschädigt”, entgegnet er immer noch bemerkenswert fürsorglich. “Vielen Dank, das ist nett. Aber die Seite meines Auto ist ohnehin sehr verkratzt und es ist gerade fast unmöglich, einen Parkplatz zu finden”, meine ich verwirrt. Trotzdem zögere ich jetzt kurz, ob ich den Wagen umparken soll. Nur wohin? Also lächeln wir uns an und gehen weiter: Ich habe mich entschieden, meinen alten, verkratzen Wagen stehen zu lassen.

Hinter mir ist inzwischen der kleine PKW angeschlichen gekommen. Er sucht noch – natürlich. Der besorgte Herr mit der Einkaufstüte geht zum jungen Fahrer und sagte: “Napalim, oğlum? Başka bir yerde bakariz.” (Da kann man nix machen, mein Sohn! Wir müssen woanders suchen.)

In dieser Sekunde wird mir klar, warum dieser Parkplatz plötzlich “ach so gefährlich” geworden ist. Im ersten Moment regt mich dieser dreiste Versuch auf und ich will dem lächelnden Herren etwas zurufen. Aber dann gehe ich doch nur schmunzelnd weiter. Denn irgendwie rührte es mich auch, wie er seinem Sohn helfen wollte.

Text und Foto: Christian Feiland


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