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Mavikent

hinterlands gibt Einblicke in die "blaue Stadt"

hinterlands heißt das neue Printmagazin, das sich Dörfern und ländlichen Regionen Europas widmet. Unter anderem auch Mavikent – einem scheinbar himmlischen Ort an der türkischen Mittelmeerküste. Bei uns gibt’s exklusiv eine Leseprobe.

In ihrem Beitrag zur ersten Ausgabe des hinterlands Magazin schreibt Duygu Atçeken über Mavikent, einen Apartmentkomplex an der türkischen Mittelmeerküste, eine Welt aus blauen Markisen und Beton, das eine „Ferienblase“ entstehen lässt in der „alle glücklich und im Urlaub“ sind.  Duygu erinnert sich in diesem sehr persönlichen Text eindrücklich an die sommerliche Stimmung in Mavikent und bricht dieses Schwelgen mit Beschreibungen dessen, wie die Ferienortanlage das dörfliche Leben und die Geographie der Küste bis heute verändert. Die Lektüre des Textes macht deutlich, wie die blauen Urlaubsbauten einer sozial recht homogenen Gruppe einen geschützten Raum bieten, der politische und gesellschaftliche Umstände für einen Moment – für eine Saison – ausblendet.

Der Text erscheint im englischen Original in hinterlands – magazine for rural realities. Ihr könnt den Druck der ersten Ausgabe des Magazins unterstützen und ein Exemplar hier vorbestellen.

Hier gibt es eine Leseprobe aus dem Magazin von Duygus Erfahrungen in Mavikent:

Als Kind, aufgewachsen an der türkischen Mittelmeerküste, kostete ich die träge Sommerzeit voll aus, begleitet von der brennenden Sonne, von salzigem Meer, von Sandstränden und süßem Nichtstun. Die Freundschaften hielten einen Sommer lang und die Tattoos waren abwaschbar. Der Sommer erinnert mich noch heute an endloses Blau. Dieses Blau ist nass und aus Beton. Beton, gefüllt mit Chlorwasser. Neunzig Prozent sind Luftfeuchtigkeit, die restlichen zehn sind ausgedehnte Langeweile.

Der Ort meiner nostalgischen Sommererinnerungen heißt Mavikent („Blauestadt“) und ist ein Apartmentkomplex an der Mittelmeerküste, das 1992 im Dorf Tömük außerhalb von Mersin errichtet wurde. Hier ist das yazlık meines Onkels. Hier sind alle glücklich und im Urlaub, ungeachtet der wirtschaftlichen oder sozialen Turbulenzen, die außerhalb der Ferienblase liegen.

Es ist 2019 und ich werde ein Wochenende im Sommerapartment meines Onkels verbringen. Zusammen essen, türkischen Kaffee trinken, über unsere Zukünfte spekulieren, an der Küste spazieren, schwimmen, Okey spielen und schlafen. Meine Zeit hier ist nicht mehr so grenzenlos wie sie sich während der Kindheit anfühlte, anstelle meiner sorglosen jugendlichen Haltung ist jetzt eine sorgfältige Beobachtung meiner Umgebung getreten.

Es ist der dreißigste August, „Tag des Sieges“, ein Nationalfeiertag, der dem Ende des türkischen Befreiungskrieges gedenkt. Die jungen Bewohner*innen von Mavikent sind im Cafébereich im Erdgeschoss und tanzen zu türkischen Militärmärschen und oyun havası, traditionellen Bauchtanzklängen. Am Pool eine Kakophonie aus arabesken Musikremixes, Marschmusik in Dauerschleife und regelmäßigen Ankündigungen des abendlichen Feuerwerks…


Das hat euch neugierig gemacht? Mehr von Mavikent und anderen besonderen Orten lest ihr bei hinterlands:

hinterlands ist ein neues Printmagazin, das sich den Dörfern und ländlichen Regionen Europas widmet. Die Idee dazu kam den drei Gründerinnen Freia Kuper, Hanna Döring und Maike Suhr, da oft auf sehr extreme Arten über das Ländliche gesprochen wird: Zum einen gibt es eine städtische Überheblichkeit, die nach wie vor erschreckend salonfähig ist, und eine neue Angst vor den Dörfern und ihren Bewohner*innen, die europaweit für den Rechtsruck mitverantwortlich gemacht werden. Zum anderen erleben wir heute gerade unter Großstädter*innen eine starke Romantisierung des Landlebens, die sich von Zeitschriften wie der Landlust bis zum Traum vom Haus in der Uckermark zeigt. Ob verurteilend, romantisierend oder durch Schwarz-Weiß-Denken geprägt, die Narrative über das Land werden dabei selten der Realität gerecht. Deshalb setzt sich hinterlands schon mit dem Untertitel zum Ziel, „rurale Realitäten“ zu versammeln.

Jede Ausgabe widmet sich einer Farbe, die sich als roter, blauer oder gelber Faden durch die Beiträge zieht. In der ersten Ausgabe „Blau“ geht es so beispielsweise um das Leben auf einer griechischen Insel in der Nebensaison, um den Grenzfluss zwischen Polen und der Ukraine, die Traditionskneipe „Blaue Maus“ auf der Insel Amrum oder den „Blauen Schurz“, ein traditionelles Kleidungsstück in Südtirol. Die Beitragenden sind Journalist*innen und Schreibende sowie Künstler*innen und Fotograf*innen aus 13 Ländern, das Magazin erscheint in englischer Sprache.

Dass hinterlands zunächst nur als Printmagazin erscheint, hängt unter anderem damit zusammen, dass das Thema „Raum einnehmen“ soll, erklären die Gründerinnen. Durch einen Platz in den städtischen Buchhandlungen, aber auch Veranstaltungsformate und Lesungen soll das Rurale gerade in den Städten stärker vertreten und diskutiert werden. Darüber hinaus plant das Team durch Schreibworkshops junge Menschen in ländlichen Regionen zum Schreiben vom Land und über das Land zu ermutigen und will zukünftig auch Beiträge aus diesen Workshops mit in das Magazin aufnehmen.

Text und Bild: Duygu Atçeken
Übersetzung: Freia Kuper

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