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Eine stinknormale Hochzeit

Armenisch, Türkisch und eine Prise Deutsch

Vor der Tür unserer Wohnung im bezaubernden Ortaköy stehen viele junge Menschen. Menschen, die ich mindestens schon seit sieben Jahren kenne. Heute sind wir alle ausnahmsweise sehr schick gekleidet. In allen erdenklichen Farben scheinen wir fröhlich auf die Straße und die Septembersonne auf uns. Passend zum Anlass versuchen wir eine elegante Haltung zu wahren, doch gelingen tut es uns nur bedingt. Noch schwerer gelingt es wohl der Braut, meiner nervtötenden langjährigen Mitbewohnerin. Eine Flasche Gerstensaft in der Hand, schwingt sie mal in die Wohnung, mal wieder raus vor die Tür auf die Straße. Die Nachbarn haben ihre Plätze an den Fenstern schon eingenommen, einige haben sich sogar zu uns gesellt. Immer mehr Verwandte und Freunde treffen ein. Es wird lauter auf der Straße, vor der Wohnung, in der Wohnung und im gesamten Gebäude. Es herrscht eine sehr heitere Stimmung und alle scheinen amüsiert. Alle bis auf die Braut, deren Bräutigam im Istanbuler Verkehr zu stecken scheint.

Meine 70 Quadratmeter kleine Wohnung wurde heute zum „Gelin evi“ umfunktioniert, in der sich 40 bis 50 Personen befinden. Alle diese Leute, plus die Nachbarn, warten darauf, dass der Bräutigam mit seinem Gefolge kommen möge, um die bezaubernde Braut abzuholen. Eine alte türkische Tradition. Heute aber läuft alles etwas anders ab als gewohnt. Diese ist nämlich keine gewöhnliche Hochzeit. Es ist eine armenisch-türkische Hochzeit mit einer Prise Deutsch. Die Braut und der Bräutigam sind beide in Süddeutschland aufgewachsen. In gewissen Momenten in ihrem Leben trafen beide ähnliche Entscheidungen. So kam es, dass sie zur selben Zeit in Istanbul lebten und anfingen, in einem deutschsprachigen Call-Center zu arbeiten, wie fast die Hälfte aller „Rückkehrer“ aus Deutschland. Manch einer mag es Schicksal nennen, manch einer mag es Zufall nennen, diese beiden nennen es „zwingende wirtschaftliche Gegebenheiten“.

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Endlich! Der Bräutigam kommt mit 40-minütiger Verspätung an. Er kommt nicht traditionell-türkisch mit einem Gefolge von unzähligen Autos, die so laut hupen, dass die Fenster zittern, sondern nur mit seiner Gınkamayr. Gınkamayr ist armenisch und bedeutet Taufmutter. Bei einer „rein armenischen“ Hochzeit würde der Bräutigam gar nicht zur Abholung mitkommen, sagt man mir. Die Gınkamayr kommt für gewöhnlich die Braut alleine abholen. Sie übergibt ihr ihren Brautschleier, es wird selbst gemachter Likör getrunken und man macht sich gemeinsam auf den Weg zur Kirche, wo der Bräutigam am Altar wartet. Aber wie gesagt, heute läuft alles etwas anders ab.
Mit der Ankunft des Bräutigams laufen wir also alle in die Wohnung und verschließen die Tür. Einige Sekunden später klopft es. Wir öffnen die Tür einen Spalt breit, gerade so, dass wir sehen können wer anklopft: „Buyrun?!“(Bitte schön?!), fragen wir. „Gelinimi almaya geldim“ (Ich bin gekommen, um meine Braut abzuholen), antwortet der Bräutigam. In der Wohnung bricht ein Gelächter aus. Das ist nicht so einfach, sagen wir, „pamuk eller cebe“. Eine weitere türkische Tradition; man zahlt den jüngeren Verwandten der Braut eine kleine Abfindung, damit sie die Tür öffnen. Der Bräutigam schiebt einen grünen Schein durch den offenen Spalt, ich nehme es entgegen und sage laut: „Yetmeeez!“ (Nicht genug). Er schiebt eine weitere Banknote durch den Spalt und wir antworten wieder laut „Yetmez!“. Naja, natürlich ist das alles just for fun! So quälen wir ihn nicht lange und der Sesam öffnet sich. Die Gınkamayr übergibt der Braut ihren Schleier und es wird gemeinsam Likör – welches wir vom Supermarkt gekauft haben – getrunken, um uns dann bald auf den Weg zur Kirche zu machen.

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Wunderschönes Ambiente, kräftige Aura. Die im 17. Jahrhundert von armenischen Einwanderern aus dem ostanatolischen Dorf Abuçeh erbaute Kirche „Surp Asdvadzadzin Ermeni Kilisesi“ dient seit ihrer Erneuerung im Jahre 1835 als Gebetsstätte für orthodoxe Istanbuler Armenier. Und genau hier, in dieser geschichtsträchtigen Stätte, soll geheiratet werden. Vor der Kirche steigt die Aufregung, vor allem unter den Dacik’s – so nennen die Armenier die Türken. Für die meisten von ihnen ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie eine Kirchenhochzeit miterleben dürfen. Gesehen hat man es natürlich schon in unendlich vielen Filmen. Vielleicht auch genau deswegen, sind sie hibbelig wie kleine Kinder, die Zeugen von etwas sein dürfen, was sie bisher nur aus Filmen kannten.

Langsam nehmen alle ihre Plätze ein und die Orgel erklingt. Paarweise laufen die engsten Verwandten des Brautpaars gen Altar und setzen sich – wenn verwandt mit der Braut, links -wenn verwandt mit dem Bräutigam, rechts – auf die Bank. Nachdem sich alle gesetzt haben, kommt der Bräutigam in Begleitung seines Gınkayrs – das ist armenisch für Taufvater – und stellt sich an den Altar. Die Taufeltern fungieren in den meisten armenischen Hochzeiten gleichzeitig auch als Trauzeugen.

Die Orgel schlägt einen tiefen Ton an und alle erheben sich, als die Braut ganz in Weiß am Arm ihres Vaters, der noch aufgeregter zu sein scheint als seine Tochter, die Kirche betritt. Er begleitet sie symbolisch bis zur Hälfte des Ganges, wo sie dann von ihrem Bräutigam empfangen wird. Nachdem der Bräutigam seinem Schwiegervater respektvoll die Hand geküsst hat, läuft das Brautpaar zum Altar und die Zeremonie kann beginnen. Fast eine Stunde dauert die Vermählung, eine ganze Stunde, in der man sich nicht hinsetzen darf. Keine sehr gute Nachricht für meine Füße, die in 15 cm-Absatzschuhen stecken.

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Nach der Kirche geht es dann endlich zur Hochzeitslocation, die im Wald in der Nähe von Kilyos liegt. Der DJ spielt sich den ganzen Abend von Jazz zu Pop, von Pop zu Rock und den größten Teil der Hochzeit tanzen wir zu „Misket“ und „Roman havası“ bis hinzu „Halay“, was natürlich nicht ausbleiben darf. Und als ich dann kurz vor dem Ende des Abends, sitzend auf einem Stuhl, die Hochzeitsgesellschaft betrachte, sehe ich nicht einen klitzekleinen Unterschied mehr zwischen den Menschen, die zur bekannten Musik tanzen. Merkwürdig, denke ich, man hätte einen Kulturclash erwartet, oder? Aber niemand hätte sagen können, diese wäre keine rein türkische oder keine rein armenische Hochzeit. Selbst wenn man dachte, es würde eine ungewöhnliche Hochzeit werden, entpuppte sie sich als eine stinknormale Türkei-Hochzeit. Attribute wie „türkisch“ oder „armenisch“ verloren ihre Relevanz. Sie tanzten dieselben Tänze und sangen laut zur selben Musik. Alle konnten sie die Liedtexte auswendig, alle verbanden ähnliche Gefühle, die diese Texte bei ihnen hervorriefen. Erinnerungen an die eigene Vergangenheit und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.

Doch noch einige Monate zuvor hegten diese Menschen, die sich jetzt in den Armen lagen, ungute Gefühle füreinander – mit dem Argument, zu unterschiedlich zu sein, um zusammen zu sein. Diese Unterschiede sollten und mussten sie voneinander trennen. Ein Leben nebeneinander, aber keines miteinander. Eine Koexistenz. Jedoch, die Entscheidung von zwei jungen Leuten ihre Wege zu verbinden, weil sie sich einfach ähnlicher waren als unterschiedlich, weil sie das, was anders war, aneinander liebten und nicht fürchteten und weil ihre Prioritäten weit über imaginäre Grenzen lagen, brachten sie zwei große Familien dazu, all ihre Vorurteile und Ängste beiseite zu schieben, um sich gegenseitig zu akzeptieren. Alles fing in einem Call-Center in Şişli an und endete damit, dass sich Menschen, die sich vielleicht seit Jahrzehnten verschlossen hatten, öffneten, um sich kennenzulernen, um einander zu verstehen. Somit ebneten diese „kleinen Pioniere“ den Weg für andere, die es wagen würden, außerhalb von ihren gewohnten oder beigebrachten Grenzen zu denken und zu lieben.

Text: Neslihan Yakut

Fotos: Fırat Taş

Redaktion: Aydanur Şentürk

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