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„Balkon“ – Istanbul durch Orhan Pamuks Kameralinse

Ausstellung in Istanbul

Die Bücher des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk sind weltbekannt. Aber wusstet ihr, dass er auch fotografiert? Seine Bosporusansichten können nun in einer Ausstellung in Istanbul betrachtet werden – und lassen uns Pamuks Gesamtwerk besser begreifen.

Orhan Pamuk lebt nicht nur in, sondern mit Istanbul: Der gebürtige Istanbuler hat in Nişantaşı, Cihangir, Beyoğlu und Beşiktaş gewohnt, hat die Stadt und das Leben in ihr beobachtet, darüber geschrieben und Geschichten erzählt. Er hat die Entwicklungen der Millionenstadt über Jahre begleitet und sie in seinen Romanen verarbeitet. Doch neben diesen Geschichten, für die Pamuk weltberühmt geworden ist, hielt er seinen Blick auf die Stadt auch fotografisch fest.

Zwischen Dezember 2012 und April 2013 nahm er Tag für Tag von seinem Balkon in Cihangir mit seiner Kamera auf, wie Istanbul und der Bosporus ihm zu genau diesem Zeitpunkt begegneten. „Balkon“ heißt die Ausstellung und das gleichnamige Fotobuch, das diese Bilder nun der Öffentlichkeit zugänglich macht. Kuratiert vom deutschen Verleger Gerhard Steidl lässt „Balkon“ uns eine neue Seite des Autors kennenlernen – und vielleicht auch eine neue Seite Istanbuls.

Istanbulansichten als Ausdruck von Emotion

Pamuk zeigt uns architektonische Details oder Vögel in Nahaufnahme, verfolgt mit seiner Linse die riesigen und doch winzig wirkenden Schiffe auf dem Bosporus und die Jahreszeiten dieser Stadt. In all diesen Ansichten bewahrt er einen Hauch von Geheimnis. Er spielt mit dem Kontrast zwischen Verschwommenem und Schärfe. Häufig zeigt er die Stadt im Schnee und Dunst. Seine Fotos sind, so sagt er selbst, auch Ausdruck seines Gemüts. „Da ist etwas in diesem Anblick, das meine eigene Stimmung widerspiegelt und die unbeschreiblichen aber tiefgründigen Emotionen, die durch mich rinnen, offen legt“, schreibt er. Seine Fotografie ist eine Suche nach der Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem.

Eigentlich wollte Orhan Pamuk früher Maler werden, bereits als Kind malte er. Mit zehn Jahren bekam er von seinem Vater seine erste Kamera geschenkt und begann mit ihr Istanbul aus den unterschiedlichsten Winkeln festzuhalten. Als junger Erwachsener verwarf Pamuk den Plan, brach sein Architekturstudium ab und fing an, statt mit Pinsel oder Stift mit Worten zu zeichnen. Doch selbst während des Schreibens zeichnete er nebenher oder verarbeitete seine Sehnsucht nach Malerei in Buchcharakteren. Sein Bedürfnis einen Moment in seiner Schönheit abbilden zu können, wird auch in seiner Fotografie deutlich.

Bilder voller Ruhe und Geheimnisse

Für Pamuk ist das wichtigste im Leben, „zu sehen“, schreibt er. Dieses Sehen, seinen Blick auf die Welt, bringt er in seinen Büchern in langen szenischen Ausführungen mit Liebe zum Detail zum Ausdruck. Es ist eine gewisse Langsamkeit, die durch Pamuks Bücher schwingt. Blicke ich nun auf Pamuk Fotos, kann ich jene Langsamkeit darin wieder erkennen.

Und hier – im Visuellen – scheine ich die Schönheit und den Anmut dieser Langsamkeit ein Stück besser begreifen zu können. Im Yapı Kredi Kültür Sanat Yayıncılık, das inmitten des Trubels der İstiklal gelegen ist, schaffen es die Bilder, einem für einen Moment Ruhe zu geben. Es sind Pastellfarben wie die eines impressionistischen Gemäldes, in denen Pamuk uns Istanbul vor Augen führt. Wer denkt, der Blick von einem Balkon, der Blick auf Istanbul, könne jemals langweilig werden, dem beweisen Pamuks Fotos das Gegenteil.

Pamuk als interdisziplinärer Künstler

Neben den Fotos befindet sich in der Ausstellung auch ein Kapitel Pamuks über seine Erfahrung während des Fotografierens und seine Motivation. Hier entsteht die Synthese: Ein malerisches Schreiben über das Entstehen von Bildern und gleichzeitig ein Aufzeigen des Einflusses, den jene Bilder wieder auf das Schreiben des Autor haben. Hier setzt sich Pamuks Werk zu einem großen Bild zusammen.

Text: Marlene Resch
Fotos: Marlene Resch (2), Orhan Pamuk


Istanbul ist eine Stadt mit vielen interessanten Ausstellungen – wir schreiben darüber. Navid hat zum Beispiel die Ausstellung „Özlem“ besucht, Marie die Fotoausstellung von Charlotte in Balat.

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